Mit „RATATATAA“ präsentiert die Städtische Galerie Karlsruhe die erste institutionelle Einzelausstellung des Künstlerduos Özlem Günyol & Mustafa Kunt in Deutschland. Der lautmalerisch-provokante Ausstellungstitel verweist auf zentrale Themen der Schau: Klang, Sprache und Symbol als Träger gesellschaftlicher Machtstrukturen. Was auf den ersten Blick spielerisch erscheint, entpuppt sich als tiefgründige Auseinandersetzung mit politischer Repräsentation, Identität und der Kraft – und Ohnmacht – von Zeichen.

Das künstlerische Prinzip des Duos Günyol & Kunt liegt in der stillen Inszenierung gesellschaftskritischer Fragen. Mit feinem Humor und analytischer Genauigkeit legen sie Mechanismen von Macht, Repräsentation, Identität und Zugehörigkeit frei – und reduzieren komplexe Themen auf ein ästhetisches Minimum. Transformation, Wiederholung und Überlagerung ziehen sich als roter Faden durch die Ausstellung, deren 30 Werke zwischen 2008 und 2025 entstanden sind.

Ein zentrales Thema ist das Verhältnis von Kunst und öffentlichem Raum. Diesen verstehen Günyol & Kunt nicht nur als physischen Ort, sondern auch als diskursives Feld, in dem kollektive Erinnerungen und symbolische Repräsentationen verhandelt werden. So auch in ihrer jüngsten Arbeit „Paranoid Circle“ (2025), deren Entstehungsprozess zu Beginn der Ausstellung noch nicht abgeschlossen ist: Ein Panzer wird auf einer lackierten Stahlfläche fahren und sich wiederholt im Kreis drehen. Durch die kontinuierliche Bewegung, so das Konzept des Künstlerduos, ritzen sich feine Spuren in das Metall und hinterlassen eine abstrakte Zeichnung. Sie wird ab November im Lichthof der Städtischen Galerie Karlsruhe präsentiert und verweist auf die ursprüngliche Nutzung des Gebäudes als Waffen- und Munitionsfabrik. In reduzierter Form macht „Paranoid Circles“ die Umwandlung des Hallenbaus in das Kunstmuseum der Stadt sichtbar und fragt danach, wie sich die Wahrnehmung eines Ortes verändert, wenn sich seine Funktion radikal wandelt.

Die Installation „Free Solo“ (2019–2025) greift ebenfalls auf Strukturen des öffentlichen Raums zurück. Der Titel der Arbeit spielt nicht nur auf die riskanteste Form des Klettersports an: Günyol & Kunt übersetzen Details zahlreicher Statuen und Denkmäler in Frankfurt, Istanbul, Çanakkale und Karlsruhe in reale Klettergriffe und laden zum aktiven Erkunden der Wand ein. Ihren Ursprung hat das Werk dabei nicht im Sport, sondern im kollektiven Impuls, sich bei Feierlichkeiten oder sozialen Unruhen des öffentlichen Raums zu bemächtigen und Denkmäler zu erklettern. In „Self-Portrait“ (2024) kommentieren Günyol & Kunt wiederum humorvoll den internationalen Wettlauf um Superlative. In den 2000er- und 2010er-Jahren übertrumpften sich Staaten mit immer höheren Fahnenmasten als Sinnbild nationaler Größe. Diese zweckgebundene Form übersetzt das Duo in eine dysfunktionale Struktur: Akkordeonartig ziehen sich ihre Umrisslinien über die Museumswand und entziehen der ursprünglichen Machtgeste jegliche Wirksamkeit.

Dass Günyol & Kunt nicht mit neutralen Materialien arbeiten, sondern bewusst aufgeladene Objekte und Zeichen einsetzen, zeigt sich in den Arbeiten, die sich den Themen der Migration und Flucht widmen. In „That which remains…“ (2017) sind auf Aquarellpapier kristallisierte Spuren ägäischen Meerwassers zu sehen, die Begriffe wie „Life“, „Equality“ oder „Movement“ formen. Im Kontext des EU-Türkei-Abkommens von 2016 werden diese Auszüge aus der Menschenrechtsdeklaration zu stillen Hinweisen auf die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität in der Flüchtlingskrise. Auch individuelle Schicksale bilden Ausgangspunkte für ihre Arbeiten. „But I Kept Going“ (2017–2022) greift eine Aussage des syrischen Schwimmers Ameer Mehtr auf, der 2015 die acht Meilen von Kuşadası nach Samos schwimmend zurücklegte. 4768 horizontale Linien übersetzen diese Fluchtroute in das abstrakte Bild eines Sonnenuntergangs, dessen Farben die Flaggen der EU und Türkei widerspiegeln.

Das Mittel der geografischen und architektonischen Vermessung wiederholt sich im Werk des Duos: „Toward the Horizon“ (2017) besteht aus 188 333 gezeichneten Linien, jede exakt 60 Zentimeter lang – die durchschnittliche Länge eines menschlichen Schritts. Aneinandergereiht ergibt sich eine Strecke von 113 Kilometern, der kürzesten Distanz zwischen Tunesien und der italienischen Insel Lampedusa, und damit ein abstraktes Bild einer Migrationsroute. In „Higher than the Ground, Lower than the Sky“ (2022–2025) hinterfragen Günyol & Kunt die Sockelhöhen öffentlicher Denkmäler und schaffen mit den irrationalen Leitern ein paradoxes Messinstrument für Macht und Bedeutung.

Mit analytischer Präzision und zugleich minimalistischer Bildsprache machen Günyol & Kunt sichtbar, wie politische Symbole, Räume und Materialien zu Trägern gesellschaftlicher Macht werden – und wie diese durch künstlerische Transformation neue Perspektiven öffnen.

Kurzbiografie
Özlem Günyol (*1977) und Mustafa Kunt (*1978) sind in der Türkei aufgewachsen und arbeiten seit 2007 in Frankfurt am Main. Nach einem Kunststudium an der Hacettepe Universität in Ankara setzten sie ihre Ausbildung an der Frankfurter Städelschule fort – Özlem Günyol bei Ayşe Erkmen, Mustafa Kunt bei Wolfgang Tillmans. Ihre Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem H. W. & J. Hector Kunstpreis (2009) sowie dem HAP Grieshaber-Preis der VG Bild-Kunst (2017).

Katalog
Zur Ausstellung erscheint im November 2025 ein Katalog im Kehrer Verlag mit Texten von Jörg Heiser, Duygu Demir und Stefanie Patruno. Er kostet an der Museumskasse ca. 40 Euro. 


Öffnungszeiten:
Mittwoch - Freitag: 10:00 - 18:00 Uhr
Samstag - Sonntag: 11:00 - 18:00 Uhr

Weitere Informationen direkt unter: staedtische-galerie.de