Am 8. Juli 2025 gegen 10 Uhr morgens stieg ich in Berlin an der Bushaltestelle Insulaner in den Bus 170. Morgens saßen in diesem Bus meist weiße deutsche Rentner*innen, Jugendliche von unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und Mütter mit ihren Babys. Ich bemerkte ihn sofort. Sein großes, längliches Gesicht, seine dicke Brille, sein spärliches Haar und sein drahtiger Körper verliehen ihm eine zerbrechliche und zugleich unberechenbare Ausstrahlung.
An der nächsten Haltestelle stand er auf, schlurfte zur Tür und drängte sich durch die Menge. Verärgert schimpfte er plötzlich lautstark auf die Frau vor ihm ein, die schnell zur Seite sprang, um ihn vorbeizulassen. Energisch stieg er aus dem Bus und brüllte noch lauter, noch verstörter. Die Tiefe seiner verkörperten Entfremdung richtete sich gegen alle. Die Türen schlossen sich, er blieb stehen, kniff die Augen zusammen und begann, die Gruppe zu mustern. Mit nach vorne gestrecktem Kopf und direktem Blick in unsere Augen streckte er langsam und bedächtig seinen rechten Arm zu einem verbotenen Gruß aus, während der Bus losfuhr. Eine gedämpfte Stille und nervöse, verstohlene Blicke prägten den Rest der Fahrt.
– Hassan Khan
Little Castles entfaltet sich wie ein Album aus Verschiebungen und Modulationen – komponiert in einer Welt, die von Gewalt, Brüchen, Widersprüchen ebenso geprägt ist wie von dem Potential tiefgreifender Veränderungen. Die Ausstellung vereint eine jüngere Arbeit und zwei eigens für den Portikus entwickelte Neuproduktionen von Hassan Khan, die Sprache, Musik und Bild als eigenständige, zugleich aber eng miteinander verflochtene Formen der Übertragung erkunden. Sie lenkt den Blick auf künstlerische Ausdrucksformen, die – so die Hoffnung – auch inmitten politischer und sozialer Desintegration wirksam bleiben können. Jedes Werk eröffnet dabei spezifische Bedingungen einer Auseinandersetzung: Eine LED-Textarbeit sampelt einen investigativen Zeitungsartikel, um Tabus, gesellschaftliche Ordnungen und die Rolle des Zynismus in der Herausbildung gegenwärtiger Machtstrukturen zu beleuchten. In einer Installation aus Mobiltelefonen durchsucht eine App algorithmisch ein Archiv aus Bildern und Texten und verwandlet eine Reihe von Notizen in eine stotternde, vielstimmige Fuge. Und ein Lied, das zugleich ein Video ist, lässt Analyse, Humor, Emotion und direkte politische Ansprache zu einem ganzheitlichen kulturellen Erzeugnis verschmelzen. Diese Ausstellung widmet sich den destruktiven Facetten liberaler Selbstbilder, den unaufgearbeiteten Geschichten, die sich in unserer Gegenwart fortschreiben, und den produktiven Möglichkeiten, die sich unter diesen Bedingungen dennoch ergeben.
Hassan Khan (geb. 1975) ist ein Künstler, Musiker und Autor, der in Kairo, Ägypten, und Berlin, Deutschland, lebt. Zuletzt hatte er Einzelausstellungen im Cukrarna, Ljubljana (2025), im Centre Pompidou, Paris (2022), und im Museo Reina Sofia, Madrid (2019). Er hat seine Werke auf Biennalen und Gruppenausstellungen gezeigt, darunter Autostrada, Prizren (2025), SFMOMA, San Francisco (2019), 12. Sharjah Biennale (2015), dOCUMENTA 13, Kassel (2012) und New Museum Triennial, New York City (2012) und vielen weiteren. Im Jahr 2017 wurde er mit dem Silbernen Löwen der 57. Venedig Biennale ausgezeichnet. Seit 2018 ist er Professor für Bildende Kunst an der Städelschule in Frankfurt am Main.