In seiner Einzelausstellung Der Weg des größten Widerstandes zeigt Fabian Knecht Werke, die im Kontext seines humanitären Engagements in der Ukraine entstanden sind. Neben Installationen, Malereien und einer Videoarbeit, die über ihr Medium hinaus auch Aspekte der Aktionskunst und Performance beinhalten, umfasst die Ausstellung eine installative Arbeit im Außenbereich der Städtischen Galerie Wolfsburg. In den umliegenden Schlosspark transferiert er für den Zeitraum der Ausstellung einen Artilleriekrater aus Isjum.
Fabian Knechts persönliche und tiefe Verbundenheit mit der Ukraine besteht seit 2005. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges 2022 ist Knecht Teil des ukrainischen Widerstandes und als freiwilliger Helfer etliche Male in die Ukraine gereist. Seine Reisen brachten ihn u. a. direkt an die Front nach Kiew, Tschernihiw, Charkiw, Isjum, Odessa und Kherson. Die Erfahrungen des Krieges, die er während seines humanitären Engagements gemacht hat, hinterließen Spuren in Knechts künstlerischer Praxis, zusammengefasst in seiner Werkserie Der Weg des größten Widerstandes.
„Ich habe Kunst schon immer als etwas Existenzielles begriffen. Dass nach den persönlichen Kriegserfahrungen in der Ukraine Kunstwerke und ganze Ausstellungen entstehen, war anfangs nicht geplant und doch, retrospektiv betrachtet, unvermeidbar. Es wäre nahezu unvorstellbar, als Künstler einfach weiterzuarbeiten, als ob es diese existenziellen Erfahrungen nicht gegeben hätte.“ (1)
Mit raumgreifenden Installationen im Innen- und Außenraum erzeugt Knecht eindringliche Bilder. Er überschreitet Konventionen und Grenzen, um die Umwälzungen im visuellen Gedächtnis zu verankern und stellt sich gegen eine Gewöhnung des Ausnahmezustandes. Dabei wirken seine Arbeiten nicht nur im Kontext der Kriegsgeschehnisse, sondern auch auf der unmittelbaren Ebene. Knecht selbst beschreibt seine Werke als „ästhetische Fragmente des Widerstandes“. (2)
In den Schlosspark überträgt Knecht die Form eines Bombenkraters, den er bei einer Hilfslieferung nach Isjum Anfang April 2023 auf einem nahegelegenen Hügel entdeckte. Der Hügel war während der russischen Besatzung der einzige Ort in Isjum, an dem Mobilfunk funktionierte und auf dem sich die Zivilist*innen versammelten, um telefonieren zu können. Genau deshalb wurde der Platz im Mai 2022 von der russischen Armee beschossen. Mindestens fünf Menschen starben bei dem Angriff. Die 3-D-Abformung in Wolfsburg entstand in Zusammenarbeit mit den ukrainischen Architekten Pixelated Realities, die kulturelle und historische Monumente und Gebäude in 3-D scannen, damit diese nach einer möglichen Zerstörung im Krieg wieder originalgetreu restauriert werden können. Pixelated Realities scannt darüber hinaus Kriegsschäden und Zerstörungen in 3-D und schafft so eine forensische Architektur, die Schäden präzise dokumentiert.
In den Ausstellungsräumen der Städtischen Galerie Wolfsburg werden unterschiedliche Werkgruppen gezeigt: Für Der Tod lässt sich nicht auswaschen (2022) hat Fabian Knecht Stoffbahnen aus Hanf verwendet, aus denen üblicherweise traditionelle ukrainische Trachten gemacht werden und sie in der Asche von ausgebrannten Panzern gewälzt. In einem gleichen Verfahren, entstanden die großformatigen Malereien mit dem Titel Schwarz gebadet, ohne Firniss (2023), die motivisch an Grabtücher erinnern. In ausgebrannten Panzern hat Knecht Asche mit Leinöl vermengt. Anschließend hat er die nicht grundierten Leinwände vor Ort durch die Farbmasse aus Leinöl und Panzerasche gezogen und sie später, in seinem Atelier, auf Keilrahmen gespannt. Beide Werkgruppen erinnern in ihrer Machart an das Textilfärbeverfahren Batik, das von Hippies und von der Friedensbewegung verwendet wurde.
Bei den Stoffen, die die Grundlage der Arbeiten aus der Werkgruppe Lachen ist verdächtig (2022/23) bilden, handelt es sich um Camouflage-Tarnnetze, die von ukrainischen Frauen und Kindern aus Kleidern geknüpft worden sind und die dort als Element des Widerstands und des Krieges überall im Land sichtbar sind. Knecht hat die handgeknüpften Netze in der Ukraine gegen professionelle militärische Tarnnetze eingetauscht. In gewisser Weise werden die Netze im Ausstellungsraum zu sozialen Plastiken, die konkret dabei helfen, humanitäre Projekte in der Ukraine zu finanzieren und damit unmittelbaren Einfluss auf die Geschehnisse vor Ort haben.
Im hinteren Teil der Ausstellung ist das 38-minütige Video Der Weg des größten Widerstandes zu sehen. Es zeigt Aufnahmen, die Knecht mit seinem Mobiltelefon während seiner Reisen durch die Ukraine seit Kriegsbeginn 2022 gemacht hat. Die Videoarbeit ist eine Aneinanderreihung von kurzen Aufnahmesequenzen und „zeigt ein Land zwischen Alltag und Ausnahmezustand, zwischen wilder Natur und städtischer Zivilisation, zwischen Zerstörung und Wiederaufbau, zwischen Sommer und Winter, zwischen Leben und Tod.“ (3)
Fabian Knecht wurde 1980 in Magdeburg geboren. Er studierte Bildende Kunst an der Universität der Künste Berlin und war Meisterschüler bei Olafur Eliasson. In seiner künstlerischen Praxis verändert Knecht Wahrnehmungs- und Handlungsmuster, reflektiert Kunstbegriffe und Machtstrukturen und stellt soziale Verhältnisse und Normen durch Gegenbilder infrage.
(1), (2), (3): Fabian Knecht im Interview „Fragmente des Widerstandes“, das Nicole Büsing & Heiko Klaasim Juli 2023 anlässlich seiner Ausstellung in der Städtischen Galerie Wolfsburg mit dem Künstler geführt haben.
Öffnungszeiten:
Dienstag: 13:00 - 20:00 Uhr
Mittwoch - Freitag: 10:00 - 17:00 Uhr
Samstag: 13:00 - 18:00 Uhr
Sonntag: 11:00 -18:00 Uhr
Weitere Informationen direkt unter: staedtische-galerie-wolfsburg.de