In fünf kuratierten Abschnitten untersucht eine Reihe von Ausstellungen im Kunstverein in Hamburg die Rolle von Intimität, Geschlecht und Sexualität durch visuelle Kultur im Kontext politischer Regimewechsel in Europa von den 1980er Jahren bis heute. Dina Akhmadeeva, Erika Balsom, Angela Harutyunyan, Elisa R. Linn sowie Pierre-Alexandre Mateos und Charles Teyssou bringen Kunstwerke und Materialien zusammen, die sich mit der Zeit um den Fall der Berliner Mauer und das Ende des Sozialismus in Europa beschäftigen. In einer Zeit, die durch ein Machtvakuum und wechselnde Hegemonien, aber auch durch einen triumphalen Optimismus im Westen gekennzeichnet war, zielt die Ausstellung darauf ab, sowohl Freiheiten als auch neue Kämpfe zu thematisieren, die von Geschlecht und Sexualität an der Wende zum neuen Jahrtausend geprägt waren.


Der Titel der Ausstellung kombiniert Jean-Luc Godards Film Origins of the 21st Century (2000) und William E. Jones’ The Fall of Communism as Seen in Gay Pornography (1998), die beide Entwicklungen in der visuellen Kultur reflektieren und vorwegnehmen, indem sie gewalttätiges und erotisches Filmmaterial collagieren. Godards Film, der im Jahr 2000 vom Filmfestival in Cannes in Auftrag gegeben wurde, um den Eintritt des Kinos in sein zweites Jahrhundert zu feiern, besteht aus Found Footage: Dokumentar- und Kinobildern, die Massen und Individuen, extreme Gewalt einschließlich Völkermord sowie Darstellungen spiritueller und sexueller Ekstase in Schwarz-Weiß- und Farbbildern zeigen. Origins of the 21st Century etabliert einen offensichtlichen visuellen Kanon, der Godard selbst in eine Art Atlas bewegter Bilder einbezieht, der Fiktion und Dokumentation, das Autorisierte und das Nicht-Autorisierte in eine gegenseitige Abhängigkeit auf der Kinoleinwand des 20. Jahrhunderts stellt. Godards Origin’s ist um Material herum strukturiert, das von den Höhen und Tiefen der Epochen erzählt, während die Titelkarten „1990“, „1975“, „1960“, „1945“, „1930“ und „1915“ die Zuschauer durch das 20. Jahrhundert führen, das vom Kino erzählt, wiedererzählt und geprägt wird. “Even in an unlikely place it is possible to find traces of recent history”, heißt es zu Beginn des Films von William E. Jones, der Szenen aus pornografischem Material analysiert, das zwischen 1993 und 1998 in Osteuropa mit westlichem Geld für den Export produziert wurde. Hier ermöglichen es sich wandelnde Medienlandschaften und neue Technologien, allen voran Video und Satellitenfernsehen, dass das Material über die damals bereits verfügbaren Kanäle hinaus verbreitet werden kann. Jones' Film wird zu einem Archiv der frühen postsowjetischen Ära, insbesondere da Männer, vor allem diejenigen aus dem sogenannten „Screen Test“, über Wünsche sprechen, die manchmal im Widerspruch zu dem Rahmen stehen, an dem sie teilnehmen. Die Darbietungen zeichnen sich auch durch lange, direkte Blicke in die Kamera aus, die den Männern in einem Kontext, in dem ihre Präsenz ansonsten weitgehend als Ware und Objekt gehandelt wird, Menschlichkeit verleihen. Es ist dieser Konflikt zwischen Begehren, Sexualität, Technologie, Ware, postsowjetischem Strukturwandel und Kapitalismus in abebbenden Strömungen von Freiheit und Kontrolle, der im Mittelpunkt der Projekte im Kunstverein steht. Nie zuvor sah sich der Mainstream mit einer Verschiebung der Grenzen zwischen privater und öffentlicher Identität konfrontiert, die unter anderem durch Hardcore-Material auf VHS vermittelt wurde. In dieser Medienlandschaft werden politische Subjektivitäten und verkörperte Begierden durch unzensierte und ungefilterte Bilder im Fernsehen und auf Videos ermöglicht, die zu den dominierenden Instrumenten des kulturellen Wandels, des öffentlichen Diskurses und der Biopolitik werden und Teil neuer politischer Handlungsräume sind. Die fünf Sektionen im Kunstverein reflektieren über sexuelle Emanzipation und ihre Verwaltung, Befreiung und Überwachung sowie deren verflochtene Beziehung zur Kommodifizierung von Begehren und zum disziplinierten Körper in einer sich damals beschleunigenden Postmoderne, die durch eine sich intensivierende Bildzirkulation katalysiert wurde, die zur Erosion der großen Narrativen des 20. Jahrhunderts beitrug.


In Border Thinking and Striking the Border: Migratory Aesthetics and Counter-Public Spheres in the GDR untersucht Elisa R. Linn, wie Grenzen – physische, ideologische, biopolitische – in der DDR und nach 1989 alternative Öffentlichkeiten und künstlerische Praktiken hervorbringen. Zu sehen sind Werke an der Schnittstelle von Kunst, Literatur und Aktivismus, die hegemoniale Darstellungen unterlaufen. Linn hebt die Durchlässigkeit von Grenzen hervor und das Potenzial dieser historischen Strategien, Perspektiven für den heutigen Kampf gegen nationale Isolation und soziale Ausgrenzung zu eröffnen.


Anna Daučíková: Surveil von Dina Akhmadeeva konzentriert sich auf das Video 33 Situations (2015), in dem die persönlichen Erinnerungen der Künstlerperson Anna Daučíková an das queere Leben in der Sowjetunion mit Archiv- und Dokumentarelementen verwoben sind und so eine Gegendarstellung zur staatlichen Überwachung bilden. Das Werk kehrt den Blick der Überwachung um und verbindet intime Fantasien mit politischen Strukturen, wodurch die latente Kraft queerer Erfahrungen über Zeit und Systeme hinweg offenbart wird.


The Secret Mirror, or, the Disappearance of A.A.A. Offresi von Erika Balsom rekonstruiert die Geschichte des feministischen Beobachtungsdokumentarfilms A.A.A. Offresi (1981), der die Interaktionen einer französischen Sexarbeiterin und ihrer Kunden dokumentiert. Der Film wurde wegen angeblicher Verletzung der Moral und Privatsphäre zensiert, was einen politischen Konflikt um sein Vorführrecht auslöste, und gilt seitdem als verschollen. Die Ausstellung präsentiert den Film anhand von Materialien, die sich um seine Abwesenheit ranken, und rückt damit die Kontroversen um Sexualität, Macht und Öffentlichkeit in den Vordergrund.


Angela Harutyunyans Sex Tapes: Desire of Technology and Technology of Desire befasst sich mit armenischer Videokunst aus den späten 1990er- und frühen 2000er-Jahren, in der Körper, Sexualität und Politik im Kontext der postsowjetischen Transformation thematisiert werden. Die Videos, die damals auf VHS geteilt wurden, um Experimente außerhalb staatlich kontrollierter Institutionen und Kanäle zu ermöglichen, reflektieren die ambivalente Verflechtung von technologischem und sexuellem Verlangen.


Das Gold der Liebe II von Charles Teyssou und Pierre-Alexandre Mateos untersucht die Ambivalenz von Disziplin und Lust und analysiert, wie der Körper an der Schnittstelle von Sexualität, Begehren und sozialer Ordnung steht. Teyssou und Mateos schlagen eine utopische Gegenordnung vor, in der Lust nicht der Kontrolle, sondern der gemeinschaftlichen Neuschöpfung dient. Die Ausstellung untersucht diese Schnittstelle und sucht nach Praktiken, die mit Disziplin und Vergnügen zu tun haben, wobei sie die Unterdrückung körperlicher Impulse als Grundlage der westlichen Zivilisation kritisiert.

13.09.2025 - 11.01.2026

On the Origins of the 21st Century or the Fall of Communism as Seen in Gay Pornography

Kunstverein in Hamburg

Klosterwall 23
20095 Hamburg