Werner Tübkes (1929–2004) herausragende Leistung für die deutsche Nachkriegskunst wurde schon früh von dem westdeutschen Kunstkritiker Eduard Beaucamp erkannt und gewürdigt. Er verfolgte das Schaffen des Künstlers seit den späten 1960er-Jahren, zunächst als Kunstkritiker der F.A.Z., dann auch als Freund und Sammler. Im Jahr 2023 schenkte das Ehepaar Barbara und Eduard Beaucamp dem Städel Museum ein ebenso eindrucksvolles wie repräsentatives Konvolut von 46 Zeichnungen und Aquarellen Tübkes, das alle zentralen Schaffensphasen des Malers und Grafikers umspannt. Das Städel Museum zeigt diese besondere Schenkung und spürt darin Tübkes metaphorischer Bildsprache nach, die von Transformationen und Verfremdungen geprägt ist.
„Zeichnen ist elementares Bedürfnis“, formulierte Werner Tübke 1979, „alles andere kommt dann.“ Seine Aquarelle und Zeichnungen in Grafit, Feder und Kreide zeugen von großer gestalterischer Freiheit und Eigenständigkeit und sind essenzieller Teil seines künstlerischen Schaffens: In ihnen sammelte er Ideen, stellte formale Überlegungen an und erarbeitete sich die unterschiedlichsten Themen. Tübke, zeitlebens in Leipzig ansässig, war einer der bedeutendsten Maler in der ehemaligen DDR. Er zählt neben Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuer zu den Hauptvertretern der sogenannten ersten Leipziger Schule und nimmt in der deutschen Nachkriegskunst eine singuläre Position ein.
In Malerei, Zeichnung und Druckgrafik schuf Tübke ein ebenso autarkes wie konsequentes, formal und inhaltlich dichtes Gesamtwerk, das sich zwar durch eine realistische Formensprache auszeichnet, dessen Bildaussagen aber häufig in der Schwebe bleiben. Tübke ging es nicht so sehr um eine konkrete Wiedergabe der Wirklichkeit, sondern um „Seinsdeutung“. In seinen vielschichtigen, von einer einfallsreichen, manchmal geradezu überbordenden Fantasie geprägten Kompositionen reflektiert er die Komplexität der Welt mit ihren existenziellen Fragen, Nöten und Konflikten. Dabei beweist er ein feines Gespür für die Verletzlichkeit des Menschen, der als Individuum im Mittelpunkt seiner Kunst steht. Engel, Einhörner und Zauberer, Harlekine, Verhüllte, Verschnürte und immer wieder Gefolterte sowie Maskierte bevölkern Tübkes Werke. In seinem „Welttheater“, wie er es nannte, ist durch die schöpferische Aneignung der älteren Kunstgeschichte die Zeit aufgehoben und alles von Erinnerungen durchdrungen.
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