Die Ausstellung BE WITH THE REVOLUTION im MK&G beleuchtet die Rolle von Streetart und Grafikdesign in den Protesten der arabischen Welt seit 2011. Zentrale Themen sind dabei die Verbreitung von Protestbildern in urbanen und digitalen Räumen, Feminismus und sexualisierte Gewalt, die Wiederentdeckung der arabischen Schrift als politische Sprache und die Erinnerung an die Opfer der Proteste. BE WITH THE REVOLUTION ist in enger Kooperation mit Gestalter*innen entstanden, die vor Ort oder aus dem Exil heraus an den Protesten mitgewirkt haben. Wie wird ein Bild zum Protest und wie der Protest zum Bild? Wie verstehen die Streetart-Künstler*innen und Grafikdesigner*innen ihre eigene Rolle und die ihrer Werke in den Protesten? Diese Fragen werden in der Ausstellung durch ein Zusammenspiel von Bildern und Werkkommentaren beleuchtet. Sie werfen Schlaglichter auf verschiedene Schauplätze zwischen Tunesien, Ägypten und Syrien seit 2011 sowie Irak und Libanon im Jahr 2019.
Auffällig an den Bildkulturen der Proteste ist die wechselseitige Reproduktion von Bildern zwischen digitalen und urbanen Räumen. So wird der Künstler GANZEER 2011 für die Verbreitung seiner Arbeit „Mask of Freedom“ festgenommen, die er als Kritik an der fortgesetzten Militärherrschaft in Ägypten nach dem Rücktritt desnPräsidenten Mubarak anfertigte. Der eigentlich für die Straße gedachte Entwurf eines subversiven Stickers wurde durch das Internet zur Protestikone.

Die Designer*innen FARAH FAYYAD und SIWAR KRAYTEM nutzen die künstlerische Intervention, um am Ort des Geschehens auf Missstände aufmerksam zu machen. Dazu richteten sie während der Proteste in Beirut 2019 ihre Siebdruckwerkstatt auf dem zentralen Märtyrerplatz ein und druckten Protestslogans anderer Designer*innen auf T-Shirts. Die Politisierung des Grafikdesigns manifestiert sich hier besonders in der aktiven Unterstützung von Protestkulturen.

Viele Fotografien in der Ausstellung verdeutlichen, wie Streetart die Proteste anfangs unterstützt, zunehmend aber auch dokumentiert und in Erinnerung hält. Ein reproduziertes Wandbild von ZOO PROJECT aus Tunis visualisiert demgegenüber den Wunsch nach Freiheit als einen Auslöser der Proteste.

Mit Comics und Karikaturen reagierte die Illustratorin NADIA KHIARI unmittelbar auf die Flucht des Präsidenten Ben Ali aus Tunesien 2011. Die Figur des Kater Willis nutzt Khiari seither, um das politische Geschehen und die gesellschaftlichen Strukturen entlarvend zu kommentieren.

Die in Berlin lebende syrische visuelle Künstlerin SULAFA HIJAZI reflektiert in ihrer Serie „Ongoing“ den Kreislauf der Gewalt in der syrischen Gesellschaft. Hijazis Illustrationen und Animationen verarbeiten die Militärgesellschaft, in der bereits Kinder von militanten Strukturen und Ideologien geprägt werden. Auch die in Hamburg lebende Tattookünstlerin HANDADI CHAWAF setzt sich in ihrer Streetart mit den Protesten und den Folgen des seit über zehn Jahren andauernden Krieges in ihrem Geburtsland Syrien auseinander. Die von ihr gemalten Kinder weinen und eine Meerjungfrau mit Kopftuch reflektiert den Tod von Flüchtlingen im Mittelmeer.

Besonders Frauen sind in der Protestbewegung verstärkt sexueller Gewalt durch Regimevertreter ausgesetzt. Viele Designer*innen thematisieren diese Form von Misshandlung auch im übergeordneten Kontext der Beziehungen zwischen den Geschlechtern. Der Street Artist AMMAR ABO BAKR problematisiert die Koexistenz von Protest mit dem eigenen Körperund des gewaltvollen Missbrauchs von Frauen durch die Polizei. Die Designerin BAHIA SHEBAB prangerte 2011 die öffentliche Entkleidung einer Frau durch die Polizei in Ägypten mit dem Graffiti eines blauen BHs an, welche die stete Unterdrückung von Frauen entgegen des sich vollziehenden kulturellen Wandels verdeutlicht. Der Dokumentarfilm „Nefertiti’s Daughters“ von MARK NICKOLAS beleuchtet die Rolle von Gestalterinnen in der ägyptischen Protestbewegung.

In jüngeren Generationen als allzu traditionell empfunden, wird die arabische Schrift im Kontext der Proteste als politisches Instrument wiederentdeckt. So nutzt SAJAD MUSTAFA ZUABIL traditionelle Schriftstile in seinen an Mandalas erinnernde Wandbildern, um mit Namen die Erinnerung an verstorbene Protestierende in Bagdad wachzuhalten. MOHAMED GABER entwickelte bereits 2008 in Ägypten die Kalligrafie „Be with the Revolution“ auf Arabisch. Von Graffiti-Künstler*innen wurde diese 2011 in Tunesien und Syrien auf Wänden und T-Shirts verbreitet, bis sie 2016 in einem USamerikanischen Film fälschlicherweise als islamistischer Slogan verwendet wurde. Protestbilder, die ihren ursprünglichen Kontext wechseln, erleben dadurch eine hohe Interpretationsdynamik.

MARWAN SHAHIN erschuf 2011 infolge der Auflehnung von Jugendlichen gegen das ägyptische Regime eine Hommage an ihren Mut, der die jungen Protestierenden das Leben kostete. Sein Graffito „The 2Vth (aka Anonymous Pharaoh)“ kombiniert das Gesicht des jung verstorbenen Pharaos Tutanchamun mit dem Motiv der Guy Fawkes-Maske, die von Demonstranten und Aktivisten weltweit zur Wahrung von Anonymität und als Zeichen politischen Protests verwendet wird.

Die Wandbilder von TAQI SPATEEN visualisieren eine kritische Reflexion der palästinensischen Selbstverwaltung und die Zerstörung von palästinensischen Häusern in Jerusalem. Die Bezüge seiner Entwürfe zu Streetart aus Ägypten und Syrien verdeutlichen, wie stark die verschiedenen Proteste in der arabischen Welt bis heute auch visuell miteinander verwoben sind.

Bereits 2013 zeigte das MK&G mit „Kairo. Neue Bilder einer andauernden Revolution“ eine Ausstellung zu den Protesten in Ägypten. Mit Blick auf die unterschiedlichen Techniken und medialen Kontexte, in denen Grafikdesign zum Ausdruck kommt, setzt BE WITH THE REVOLUTION die Sichtbarmachung künstlerischer Protestkulturen im öffentlichen und digitalen Raum fort. Einige Arbeiten für die Ausstellung wurden von dem Hamburger Streetartist Tona und den Gestalter*innen Anne Reiter, Marie von Villiez und Lucia Köhn reproduziert.

KÜNSTLER*INNEN 
Ammar Abo Bakr, Bahia Shehab, Ganzeer, Hanadi Chawaf, Mark Nickolas, Marwan Shahin, Mohamed Gaber, Nadia Khiari, Sajad Mustafa Zuabil, Siwar Kraytem, Sulafa Hijazy, Taqi Spateen, Zoo Projekt.

Ganzeer, Mask of Freedom, 2011, Aufkleber, © Ganzeer
31.03.2022 - 02.04.2023

Be with the Revolution. Street Art und Grafikdesign in den arabischen Protesten seit 2011

Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

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