Leiko Ikemura ist eine international renommierte Künstlerin, deren Werk sich über die Gattungen Zeichnung, Malerei, Skulptur, Fotografie bis hin zur Poesie erstreckt. Im Zentrum ihres Schaffens steht die Auseinandersetzung mit der Natur, mit dem Thema Weiblichkeit und dem zyklischen Rhythmus von Leben und Tod. In ihrer Einzelausstellung im Georg Kolbe Museum präsentiert die seit 1990 in Berlin lebende Künstlerin hybride Wesen im Wandel zwischen Wachstum und Verfall und hinterfragt Formen des menschlichen Daseins.

Die Ausstellung widmet sich vornehmlich Ikemuras skulpturalem Werk. Die Schau zeigt über 30 Skulpturen und ausgewählte Gemälde sowie Zeichnungen seit den 1990er Jahren, darunter zahlreiche erst jüngst entstandene Arbeiten. Ihre Werke aus Keramik, Bronze und Glas zeugen von der vielfältigen Auseinandersetzung mit den Traditionen der Bildhauerei und ihren Materialitäten. Farbige Oberflächen und eine Skulpturensprache, die zwischen Form und Formauflösung changiert, sind typische Elemente von Ikemuras Arbeit, die westeuropäische und ostasiatische Kulturen miteinander ins Gespräch bringt.

Der Ausstellungstitel Witty Witches (Englisch für Listige Hexen) deutet in subversiver und humorvoller Weise auf die anziehende und zugleich abschreckende Kraft, die den von Ikemura geschaffenen und nun das Museum bevölkernden Wesen innewohnt. Darin führt sie Landschaft und Mensch in ihren figürlichen Skulpturen zusammen: Figuren, die sich in Bäume verwandeln, personifizierte Tiergestalten und Köpfe, die der Erde entwachsen, zeigen ihr Ideal einer Verschmelzung der Natur. Die hybriden Fantasiewesen befinden sich stets im Stadium des Übergangs.

Den Prozess der Transformation zeigt Ikemura auch in ihrer Erkundung der menschlichen Entwicklung. Melancholisch aussehende Mädchenfiguren, die wie in einem Kokon eingesponnen wirken, befinden sich durch fehlende Körperteile in einer offenen, amorphen Formation. Einen Abschluss des existenziellen Wandels beschreibt ihr Werk Memento Mori I: Eine liegende Geisterfigur, bekleidet mit offenem Gewand, gewährt den Besucher*innen einen Einblick in die innere Leere der Körperlichkeit und rückt das Thema der Vergänglichkeit in den Fokus. Begleitet wird die Arbeit von einer poetischen Filmprojektion mit dem Titel Pink Hair.

In den letzten Jahren erweiterte die Künstlerin ihr Materialrepertoire um massives Glas, somit erhielt die Möglichkeit der Transparenz Eingang in Ihre Plastiken. Als Sinnbild für den Kreislauf des Lebens gruppiert die Künstlerin im Untergeschoss Glasarbeiten (2020-2022) in einem Kreis, die je nach Lichteinfall wie von innen heraus leuchten. Begleitet von Malereien, die das Thema der farbigen Leuchtkraft ebenfalls aufgreifen, erzeugt Leiko Ikemura so eine kosmische Atmosphäre.

Eine utopische Darstellung von Behütung und Fürsorge zeigt die gebürtige Japanerin Ikemura in ihren berühmten Arbeiten der Usagi, die als Reaktion auf die Atomkatastrophe 2011 in Fukushima entstanden: Drei Hasenfiguren stellen in der Ausstellung alternative Schutzgeister nach shint?istischer Vorstellung dar. Usagi double-headed Hoshi, der Titel eines Werkes, verbindet das japanische Wort für Hase (Usagi) mit dem Wort für Stern (Hoshi). Die Größe und Körperhaltung verweisen zusätzlich auf die christliche Ikonografie der Mutter Gottes, die unter ihrem Mantel Schutz bietet. Die Usagi eröffnen im Werk Ikemuras eine spirituelle Dimension und stellen darüber hinaus eine universelle Symbolfigur des Mitgefühls dar.

Leiko Ikemura erweitert den Ausstellungsraum in den Skulpturengarten des Georg Kolbe Museum. Dort wird die Verbindung ihrer Kunst zur Natur durch die Positionierung von zwei Werken mit auffallender Bronzepatinierung zwischen den Skulpturen der Sammlung des Hauses erfahrbar. Am Eingang des Georg Kolbe  Museum empfängt die drei Meter hohe Hasensäule III (2021) die Besucher*innen – ein Werk, das in seiner Zusammenführung von Architekturelement und organischer Form totemgleich den Weg in den Kosmos der Ausstellung und Leiko Ikemuras weist.

Zur Künstlerin:
Leiko Ikemura, in Japan geboren, lebt seit 1972 in Europa, zunächst in Spanien und der Schweiz, bis sie sich Mitte der 80er Jahre in Köln und 1990 in Berlin niederließ. Ikemura studierte spanische Literatur an der Universität in Osaka und anschließend Malerei an der Escuela Superior de Bellas Artes in Sevilla. 1990 bis 2016 hatte sie eine Professur an der Universität der Künste, Berlin inne. Ihrem Werk wurden zahlreiche internationale Ausstellungen in renommierten Institutionen gewidmet, u.a. im MOMAT - The National Museum of Modern Art, Tokyo (2011), im Museum für Ostasiatische Kunst in Köln (2015), im Kunstmuseum Basel (2019) und dem Sainsbury Centre for Visual Arts, Norwich (2021).