Am Beispiel der Stadt Vinh in Zentralvietnam setzt sich Arlette Quỳnh-Anh Trầns Ausstellung PLATTENLOTUS mit den architektonischen und biografischen Nachwirkungen einer geteilten sozialistischen Geschichte auseinander. Durch das Zusammenspiel von Architektur, Skulptur und Video reflektiert eine Rauminstallation in der station urbaner kulturen/nGbK Hellersdorf die Spannungen zwischen Ideal und Realität, zwischen Import und Aneignung, zwischen kollektivem Gedächtnis und individueller Erfahrung.
In ihrer Ausstellung PLATTENLOTUS setzt sich Arlette Quỳnh-Anh Trần mit den architektonischen und biografischen Nachwirkungen einer geteilten sozialistischen Geschichte auseinander. Im Mittelpunkt steht die Stadt Vinh in Zentralvietnam. Der Ort, nach den Zerstörungen des Vietnamkrieges mithilfe der seit den 1960er-Jahren bestehenden sozialistischen Solidaritätsprogramme der DDR wiederaufgebaut, wurde zum Versuchslabor sozialistischer Urbanistik: standardisiert und effizient. Dabei trafen die Planungen aus dem Norden auf die materiellen, kulturellen und klimatischen Bedingungen des Südens – und wurden angepasst. Die ursprünglich in Beton geplanten DDR-Plattenbauten wurden in Vietnam mit lokalen Materialien wie Backstein umgesetzt. Diese Anpassung – oder besser: Aneignung – war mehr als pragmatische Improvisation: Sie steht exemplarisch für eine Transformationsbewegung auf technischer, kultureller und politischer Ebene. Diese architektonische Transformation bleibt in Trầns Arbeit nicht auf das Vergangene beschränkt. Vielmehr öffnet sie einen Raum, in dem sich materielle Geschichte, spekulative Zukunft und persönliche Erinnerung miteinander verschränken.
Arlette Quỳnh-Anh Trầns Rauminstallation PLATTENLOTUS ist eine persönliche Reflexion über den Begriff der Transplantation – ein Zustand des Versetzens, Auflösens und Neubildens. Die Ausstellung fragt, was geschieht, wenn etwas übertragen, übersetzt oder verpflanzt wird – und versteht Transplantation nicht als Verlust von Echtheit, sondern als Produktionsweise von Wirklichkeit.
Eine gemauerte Backsteinwand durchzieht den Ausstellungsraum, ursprünglich ein Verkaufsraum in einem aus Betonplatten gefertigten Wohnblock. Angelehnt an die vietnamesische Umsetzung der DDR-Bauweise, bringt diese Setzung die vorangegangene Adaption symbolisch nach Berlin-Hellersdorf zurück. Sie verweist dabei weniger auf ein ursprüngliches Modell, sondern auf eine Form, die sich durch Ortswechsel, Material und Bedingungen verändert hat: eine architektonische Spur, die nicht im Ursprung, sondern in ihrer Zirkulation lesbar wird.
Auch die Orange – ursprünglich aus Spanien eingeführt und heute Identifikationssymbol von Vinh – taucht als invasive Skulptur in der Ausstellung auf. Sie nistet sich in den Wänden ein, wächst aus dem Backstein hervor. Weder eindeutig vietnamesisch noch europäisch, verkörpert sie eine Geschichte von Migration und Aneignung – und zieht eine persönliche Parallele zur Familiengeschichte der Künstlerin. Es geht nicht länger darum, woher etwas „wirklich“ kommt, sondern darum, was es wird, wenn es sich bewegt.
Durch das Zusammenspiel von Architektur, Skulptur und Video reflektiert PLATTENLOTUS die Spannungen zwischen Ideal und Realität, zwischen Import und Aneignung, zwischen kollektivem Gedächtnis und individueller Erfahrung. Trần zeigt, wie urbane und kulturelle Landschaften nicht nur geformt, sondern auch umgedeutet und transformiert werden – ein Prozess, der sowohl die vietnamesische Geschichte als auch die Biografien vieler Migrant_innen prägt.
Gemeinsam mit dem vietnamesischen Architekturbüro vn-a verbindet Trần in PLATTENLOTUS realhistorische Prozesse mit spekulativen Zukunftsszenarien. Die Installation verknüpft sozialistische Ideale, Spiritualität und Sci-Fi-Ästhetik und hinterfragt die technokratische Logik des deutsch-vietnamesischen Solidaritätsabkommens – eine poetisch-kritische Vision der Möglichkeiten und Widersprüche eines zukünftigen Vietnam wie auch eines Neuen Hellersdorfs.
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