mit: Wouter Bernhardt, coop disco, Kathrin Gerlof, Jenny Goldberg, Susanne Heeg, Lorena Jonas, Alexis Hyman Wolff, Sandy Kaltenborn, knowbotiq (mit Pablo Torres), Achim Lengerer, Yves Mettler, Louis Moreno, Ines Schaber, Kathrin Wildner

Berlin verändert sich. Gentrifizierung und Verdrängung im Zuge des Berliner Immobilienbooms sind schon lange Thema und Anlass für eine breite mietenpolitische Bewegung, die das Recht auf Stadt für alle einfordert. Nur, wie steht es um die Frage des neuen Grundeigentums: Was ermöglicht den neuen Vermieter_innen – Immobilienkonzerne, Investmentfonds und unzählige anonyme Eigentümer_innen und Briefkastenfirmen – den Zugriff auf das soziale Gut Wohnraum? Wer sind die tatsächlichen Akteur_innen hinter der ökonomischen Verwertung des städtischen Raums? Und wie können wir deren Handeln politisch wie gesellschaftlich einhegen, kontrollieren und durchkreuzen?

Das nGbK-Rechercheprojekt X Properties thematisiert die stadträumlichen Veränderungen im Zuge der Finanzialisierung, das heißt der zunehmenden Präsenz und Bedeutung von Finanzkapital im Berliner Immobilienmarkt. Dem wird eine kollektiv entwickelte Perspektive auf eine wünschenswerte Stadt gegenübergestellt. Eine Praxis des gemeinsamen Lernens mit Workshops, moderierten Stadtführungen, Talks und künstlerischen Beiträgen verbindet Recherche und Wunschproduktion. Als Begleitheft erscheint eine Ausgabe der Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt.

Die Zusammenhänge von Finanz- und Immobilienwirtschaft, deren Auswirkungen auf lokale Nachbarschaften und die globale Transformation des Urbanen stehen im Mittelpunkt der Recherchen zu X Properties. Gemeinsam mit Stadtforscher_innen, Aktivist_innen und Künstler_innen wird die Wirkmacht des Finanzkapitals auf die soziale und kulturelle Produktion von Stadt, auf ihre Beziehungsformen und Subjekte diskutiert und gefragt, welche Formen einer de-finanzialisierten Stadt dem entgegengesetzt werden können. Das Projekt strebt ein eigenes Verständnis und damit widerständige Handlungsmöglichkeiten angesichts einer abstrakten Ökonomisierung städtischen Lebens an.

Durch den Verkauf des Gewerbehofs in der Oranienstraße 25 von Berggruen Holdings an die in Luxemburg registrierte Victoria Immo Properties V S.à r.l. ist auch die nGbK selbst von dieser Dynamik betroffen. In ihrer direkten Nachbarschaft, in der Prinzenstraße nah am Moritzplatz, entsteht ein Gewerbegebiet mit hochpreisigem Kreuzberger „Kreativ-Flair“. Daran angrenzend liegt die Otto-Suhr-Siedlung, die mit der Akquisition der Deutsche Wohnen durch den Wohnungskonzern Vonovia SE übernommen wurde.

Die neue Allianz von Grundeigentum und Finanzkapital wird in allen Berliner Stadtteilen spürbar. Dahinter steht eine Transformation der globalen Ökonomie: Seit den 1970er Jahren wurde die Finanzwirtschaft gegenüber der produzierenden Wirtschaft zur entscheidenden ökonomischen Macht. Immer größere Geldmengen zirkulieren weltweit auf der Suche nach lukrativen Anlagemöglichkeiten. Urbane Räume erweisen sich als ideale Orte für eine räumliche Fixierung dieses Finanzkapitals. In städtische Immobilien investiert, wird das Kapital nicht nur sicher „geparkt“, sondern durch direkte Abschöpfung und spezifische immobilienbasierte Finanzprodukte vermehrt. Auch Altersvorsorgende oder Kleinanleger_innen werden durch politische Setzungen und die Angebote neuer Finanzdienstleister zur Teilnahme am Finanzmarkt bewegt. Dort, wo Mietshäuser zu reinen Anlageformen werden, greifen herkömmliche Vorstellungen von Grund- und Immobilieneigentum und von damit verbundener Verantwortung nicht mehr. Dieser Trend, der sich weltweit bereits vielerorts durchgesetzt hat, kam in Deutschland mit Verspätung an: der Handel mit Immobilientiteln und deren Derivaten, die sogenannte Finanzialisierung des Immobilienmarkts.

Die strukturelle Gewalt, die aus der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen und der Vervielfachung von Mieten für Kleingewerbe, Wohn-, Arbeits- und Freizeiträume entsteht, führt letztlich zur sozio-ökonomisch markierten Segregation und Verdrängung vieler Menschen. Finanzialisierung erscheint dabei als ein undurchschaubares Außen: als etwas, das systemisch bedingt und damit unabwendbar erscheint. Das Gefühl, einer nicht (be)greifbaren Entwicklung ausgesetzt zu sein und diese nicht (mit)gestalten zu können, erschwert selbstbestimmte Umgangsweisen und Gegenentwürfe.

Gleichwohl gibt es Debatten und Kämpfe gegen die kapitalgesteuerte Verdrängung, wie zuletzt die erfolgreiche Kampagne Deutsche Wohnen & Co. enteignen gezeigt hat. Viele Mieter_inneninitiativen setzen bei der Frage nach der Identität und Verantwortlichkeit der neuen Eigentümer_innen an. Die Investor_innen hinter den Immobilienfonds – Verursacher_innen und Nutznießer_innen überhöhter Mieten, fehlender Instandsetzungen, erzwungenen Auszugs und spekulativen Leerstands – sind wegen fehlender Transparenzgesetze nur schwer zu ermitteln. Und damit mangelt es auch an Strategien, wie eine solche einseitige Wertschöpfung unterbrochen, Kampagnen organisiert und eine lebenswerte Stadt für alle entwickelt werden können.

In der von vier Mitgliedern der nGbk-Projektgruppe X Properties herausgegebenen Ausgabe der Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt werden sowohl globale Perspektiven auf städtische Transformationen in Brasilien und Großbritannien als auch Fallstudien zur Finanzialisierung aus unterschiedlichen Berliner Kontexten zusammengeführt.

Das Veranstaltungsprogramm umfasst künstlerisch-performative Arbeiten im Stadtraum: knowbotiq spiegelt die infrastrukturellen Zugriffe auf die erweiterten Körperlichkeiten in einer finanzialisierten Stadtumwelt, in die Pablo Torres mit Soundspuren interveniert. coop disco skizziert auf einem fünfteiligen Banner stadtplanerische Visionen für eine diverse Gemeinwohlorientierung. Ines Schaber und Kathrin Wildner erkunden eine Gegend im Wedding, in der fünf Wohnhäuser der Albert Immo Properties gehören. Diese wird mit der Victoria Immo Properties V in Verbindung gebracht, die Eigentümerin der Oranienstraße 25 ist. Schaber und Wildner beobachten, sammeln Erzählungen und erörtern in zwei Stadtspaziergängen die Frage, ob Finanzialisierung sichtbar ist und welche anderen Zeichen von Geschichte, Veränderung und Widerstand wir erspüren können. Ein Workshop mit der Aktivistin Lorena Jonas greift die Themen Bodenwert und Eigentümer-Recherche auf, vertieft durch einen Vortrag der Geografin Susanne Heeg. In einem Radio-Feature diskutieren die Aktivist_innen und Kommunikator_innen Wouter Bernhardt, Jenny Goldberg und Sandy Kaltenborn über Sprache(n), Bilder und Utopien in der Mietenbewegung und Stadtgestaltung. Louis Moreno sowie Alexis Hyman Wolff, Achim Lengerer und Yves Mettler präsentieren unterschiedliche Perspektiven auf urbane und soziale Geografien finanzialisierter Stadtentwicklung an den Beispielen London und der Berliner Europacity.

11.09. - 15.12.2022

X Properties – Zur De-/Finanzialisierung der Stadt

neue Gesellschaft für bildende Kunst

Oranienstr. 25
10999 Berlin