Jenny Holzer (*1950) zählt zu den bedeutendsten Künstler*innen der Gegenwart. Weltweit bekannt wurde Holzer mit ihren LED-Installationen, Posterarbeiten, Gemälden und Steinarbeiten, die Themen wie Krieg, Gewalt, Machtmissbrauch und Absurdes verhandeln und in zahlreichen internationalen Ausstellungen zu sehen waren. Die Kunstsammlung NordrheinWestfalen präsentiert nun Holzers erste große Einzelausstellung in Deutschland seit mehr als 10 Jahren. Holzer hat die Ausstellung als ein Gesamtkunstwerk mit zentralen Arbeiten aus verschiedenen Schaffensphasen und neuen, eigens für das K21 und die Stadt entwickelten Werken konzipiert Düsseldorf . Dem zutiefst demokratischen Anspruch von Holzer folgend, fordern ihre Werke heraus, sich mit gegensätzlichen Ansichten auseinanderzusetzen und mit Empathie und Aufgeschlossenheit einen Standpunkt in komplexen Diskussionen zu entwickeln. Das macht die Ausstellung, die vom 11. März bis 6. August 2023 gezeigt wird, zu einem öffentlichen Forum für aktuelle Diskurse über die Herausforderungen der Gegenwart.

Ein Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf Holz ers malerischem Werk, das Themen wie Freiheit, Menschenrechte, Krieg und Machtmissbrauch verhandelt. In den lichtdurchfluteten Gemäldegalerien der K21 Bel Etage präsentiert Holzer zwanzig Werke aus ihrer Serie der „Redaction Paintings “, an denen sie seit 2005 kontinuierlich arbeitet. Die zum Teil mit Blattmetallen verzierten Ölgemälde und Siebdrucke basieren auf freigegebenen und zugleich zensierten Dokumenten von US Regierungsbehörden. Sie berichten über ganz unterschiedliche Sachverhalte, darunter Militär operationen im Irak, Folter in Gefangenenlagern und Verbrechen an der Zivilbevölkerung.

Die Regierungsdokumente werden von Organisationen wie dem National Security Archive oder der American Civil Liberties Union auf der Grundlage des „ Informat ion Act “ Freedom of der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Holzer übersetzt die zum Teil von den Mitarbeiter*innen der Behörde stark geschwärzten Dokumente in Siebdrucke und großformatige Ölgemälde mit Blattmetall. Ihr künstlerischer Umgang mit den Quellen bringt die Ambivalenz zwischen Veröffentlichung und Zensur zu Tage, die den Dokumenten eingeschrieben ist. Aus kunsthistorischer Perspektive knüpfen Holzers Gemälde an die visuelle Ästhetik des Abstrakten Expressionismus und der Farbfeldmalerei an und erweitern die Möglichkeiten der reinen Abstraktion um eine politisch Informationsengagierte Botschaft zum Recht auf und Redefreiheit, den Schutz der Menschenrechte und der Bedeutung von öffentlichen Institutionen in demokratischen Staaten. 

In Reaktion auf den aktuellen Krieg in der Ukraine ist eigens für die K21 Bel Etage die neue LED-Wandarbeit UKRAINE (2023) entstanden. Das Werk präsentiert Auszüge aus Berichten der Vereinten Nationen über Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine. Diese auf Ermittlungen vor Ort und Interviews mit zivilen Opfern und Zeug*innen beruhenden Berichte protokollieren Fälle von Vergewaltigungen, Folter, Mord und willkürliche Angriffe durch russische Streitkräfte. Erweitert werden die Berichte mit persönlichen Zeug*innenaussagen ukrainischer Künstler*innen und Autor*innen aus den ersten Monaten der Invasion, darunter sind Texte in den Sprachen Deutsch und Englisch von Yevgenia Belorusets, Oleh Kozarew, Andrij Kurkow und Natalija Woroschbyt sowie übersetzte Auszüge aus dem Kriegstagebuch von Wolodymyr Wakulenko. 

Mit dem Grauen des Krieges setzt sich ein weiterer Teil der Installation in der Bel Etage intensiv auseinander: Auszüge aus Holzers Textserie Lustmord (1993–95) sind auf Silberringe graviert, die wiederum menschliche Knochen einfassen. Die Textserie Lustmord ist während der Jugoslawienkriege (1991–99) entstanden, in denen sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen als Kriegswaffe und Taktik eingesetzt wurde. Geschildert wird eine Vergewaltigung aus den Perspektiven des Täters, des Opfers und einer*s Beobachters*in. In den Worten der Künstlerin „repräsentieren und mahnen“ die Kunstwerke „die Grausamkeiten und Verbrechen an“.  

Das K21 Untergeschoss bietet eine Rückschau auf die Anfänge und frühen Phasen von Holzers künstlerischem Schaffen und erweckt ihre historischen Werke mit den Möglichkeiten neuer Technologien und Präsentationsformen wieder zum Leben. Den gesamten Ausstellungsraum verwandelt Holzer mit ihren bekannten Truisms (1977–79) und Inflammatory Essays (1979–82) in den Sprachen Englisch und Deutsch in ihre bisher größte Plakatinstallation. Ein behutsam programmiertes Lichtorchestra inszeniert die gesamte Ausstellung, die mit sechsundzwanzig Steinbänken, flackernden LED-Arbeiten und frühen Gemälden aus den 1980er Jahren erweitert wird. 

Die Textserie der Truisms hat Holzer in den späten 1970er Jahren in New York begonnen. Dafür ließ sie einzeilige Texte wie Tatsachenbehauptungen in schwarzer Schrift auf weißes Papier drucken. Als anonyme Plakate im öffentlichen Raum sollten sie anregen, verinnerlichte Ansichten zu bestätigen oder zu überprüfen. Später entwickelte Holzer längere Texte wie ihre Inflammatory Essays (aufrührerische Essays). In jeweils einhundert Wörtern sind Aussagen formuliert, die auf politischen und künstlerischen Manifesten basieren und zum Nachdenken über Intoleranz, Idealismus, Gewalt, Konsum, Aktivismus, Geschlechterbeziehungen und Machtmissbrauch anregen.

So wie damals in den Straßen New Yorks anonyme Passant*innen mit Filzstiften Kommentare auf den Plakaten hinterlassen haben, wird die Posterinstallation im K21 jetzt zu einem Ort der künstlerischen Intervention. Holzer hat die weltbekannte Graffiti-Künstlerin Lady Pink eingeladen im Museum eine ortsspezifische Wandarbeit zu realisieren, in der sich Pinks visuelle Bildwelt mit Holzers Texten überlagern und die provokante Kunst und Kultur der Straße Einzug in Bereiche des Museums halten. Für das Wandbild greifen Holzer und Pink auf Fotografien der bekannten Dokumentarfotografin Susan Meiselas zurück. Die Bilder, die während der Bürgerkriege in Nicaragua und El Salvador in den späten 1970er und den 1980er Jahren aufgenommen wurden, verdeutlichen die innere Logik, die sich durch alle hier ausgestellten Kunstwerke zieht. Sie zeigen das Leid und die unaufhörlichen Herausforderungen, denen Menschen begegnen, wenn sie die Situationen in ihren Ländern verbessern möchten. 

Kennengelernt haben sich Holzer und Pink im Jahr 1982 (auf der Fotografie von Lisa Kahane für das K21 Ausstellungsplakat trägt Lady Pink ein T-Shirt mit Holzers Truisms-Text ABUSE OF POWER COMES AS NO SURPRISE). Neben der neuen Wandarbeit werden in der Ausstellung auch vier kollaborative Graffiti-Leinwände gezeigt, die in den frühen 1980er Jahren entstanden sind und den Beginn der lebenslangen Freundschaft der zwei Ausnahmekünstlerinnen markieren.   

Holzers Texte aus den Serien Truisms (1977–79) und Survival (1983–85) erscheinen auch auf drei LED-Laufbändern. Die LED-Werke bedienen sich der Konventionen der Nachrichten- und Werbemedien im öffentlichen Raum und setzen individuelle Empfindungen und Verletzbarkeit dem allgegenwärtigen und oft aggressiven Informationsfluss des Alltags entgegen. Die Texte reflektieren über bestehende Aphorismen, Maxime und Klischees, ohne einen bestimmten Standpunkt zu bevorzugen. 

Als ergänzendes Gegenstück zur Vergänglichkeit der Plakate und der LEDLaufbänder werden ausgewählte Steinarbeiten aus unterschiedlichen Schaffensphasen Holzers gezeigt. Die Steinbänke, die seit 1986 entstehen, beziehen sich auf die Traditionen der Marmorskulptur und des angewandten Designs. Die Arbeiten, deren eingemeißelte Inschriften oft die Auswirkungen des Krieges auf den Menschen thematisieren, erscheinen als Symbole der Erinnerung und Objekte des gesellschaftlichen Gebrauchs. Ein Schlüsselwerk der Ausstellung ist der Survival Sitzkreis aus siebzehn roten Granitbänken, den Holzer erstmals in ihrer bedeutenden Einzelausstellung 1989 im New Yorker Guggenheim Museum präsentierte. 

Für den Außenraum hat Holzer neue Animationen mit Texten aus ihren Serien Truisms und Survival sowie Texten von anderen Autor*innen konzipiert. Mit der Unterstützung von Ströer werden die neuen künstlerischen Interventionen auf Düsseldorfer Werbetafeln – auf den sogenannten Public Video Roadside Screens im Straßenverkehr, den Infoscreens in den U-Bahnhöfen am Düsseldorfer Hauptbahnhof und der Heinrich-Heine-Allee sowie in der Ankunftshalle am Düsseldorfer Flughafen –  zu sehen sein.


Über Jenny Holzer 
Jenny Holzer wurde in Gallipolis, Ohio, geboren und lebt und arbeitet in New York. Sie hat ihre konfrontativen Ideen, Argumente und Sorgen an öffentlichen Orten und in internationalen Ausstellungen präsentiert, darunter auf der Venedig Biennale, in den Guggenheim Museen in New York und Bilbao, im Whitney Museum of American Art in New York und im Louvre Abu Dhabi. Ihr Medium, ob T-Shirt, Plakat oder LED-Schild, ist das geschriebene Wort und die öffentliche Dimension ist integraler Bestandteil ihrer Arbeit. Seit ihren New Yorker Straßenplakaten aus den späten 1970er Jahren bis hin zu ihren großformatigen Lichtprojektionen auf Landschaften und Architekturen begegnet sie Formen von Ignoranz und Gewalt mit Humor und Empathie.   

Über Lady Pink 
Lady Pink wurde in Ecuador geboren und wuchs in New York auf. Im Jahr 1979 – noch als Schülerin – begann sich Pink der freien Kunst des Graffitis zu widmen. In New York überzog sie U-Bahnwaggons mit ihren gesprühten Bildwelten und verbreitete weibliche Ikonen, leuchtende Schriftzüge und florale Elemente überall in der Stadt. Zusammen mit Fab 5 Freddy und Lee Quiñones wurde Pink in dem Film Wild Style! (1982) porträtiert. Ein Jahr zuvor war sie Teil der legendären Ausstellung New York/New Wave im MoMA PS.1 in New York. Pinks Crew TC5 nannte sie Pink, weil sie eine der wenigen weiblichen Graffiti-Künstlerinnen in der männlich-dominierten Szene war. „Ich war schon eine Feministin bevor ich überhaupt wusste, was das Wort bedeutet.“ Ihre Werke befinden sich in den Sammlungen des The Museum of Modern Art, Brooklyn Museum (beide in New York), im Museum of Fine Art in Boston, im Groninger Museum in den Niederlanden und in zahlreichen anderen Museen. Heute arbeitet Lady Pink nicht nur an Gemälden, sondern gibt ihre jahrelangen Erfahrungen auch an junge Menschen weiter, indem sie Graffiti-Workshops veranstaltet und Vorträge an Akademien in der ganzen Welt hält. Sie wohnt auf dem Land nördlich von New York.