Wochenkrippen in der DDR: Kunsthalle Rostock begibt sich auf Spurensuche

Die Kunsthalle Rostock, der einzige Kunsthallen-Neubau der DDR, begibt sich von Samstag an auf Spurensuche in der Geschichte des sozialistischen Staates. Unter dem Motto „abgegeben – Wochenkrippen in der DDR“ wollen die Initiatoren mit Bildern aus dem Sammlungsbestand der Kunsthalle Rostock oder anhand von Betroffenen selbst angefertigten Collagen, das bislang wenig beachtete Kapitel beleuchten. „Wir wollen nicht bewerten, das Thema soll zur Diskussion gestellt werden“, betonte Kunsthallenleiter Dr. Jörg-Uwe Neumann am Freitag. 

In den Wochenkrippen konnten Kinder von der sechsten Lebenswoche an bis zum dritten Lebensjahr untergebracht werden, ältere Kinder bis zum sechsten Lebensjahr waren in sogenannten Wochenheimen. „Wochenkrippen waren etwas völlig Normales“, sagte die Initiatorin und Projektleiterin, Sophie Linz, die selbst ein Wochenkrippe-Kind war. Der Leitgedanke, der hinter den Wochenkrippen stand, ist auf einer riesigen Fotografie im Schaudepot abzulesen: „Kinderkrippen helfen den werktätigen Müttern und geben ihnen die Möglichkeit, sich beruflich und gesellschaftlich zu qualifizieren“.

Die unterschiedlichen Betrachtungen der Krippen lassen sich gut auf dutzenden Zetteln, von Betroffenen, Eltern und Erzieherinnen stammenden Sätze über einem ausgestellten Gitterbettchen dokumentieren. Dort ist beispielsweise zu lesen: „Meine Mutter hat mich einfach alleine gelassen“, „Meinem Sohn hat das nicht geschadet“, aber auch „nie nie nie Zärtlichkeit“. 

Grobe Schätzungen gehen von mehreren hunderttausend Kinder aus, die über die DDR-Geschichte hinweg in den Krippen und Heimen einen Teil ihrer Kindheit verbrachten. Viele der einstigen Wochenkrippe-Kinder haben Studien zufolge seelische Schäden erlitten. So ist nach Worten von Ulrike Fischer, die „abgegeben“mitgestaltet hat, eine hochemotionale Ausstellung entstanden.  „Es geht nicht darum zu sagen, alle Wochenkrippen waren furchtbar und alle Kinder haben gelitten.“ Es habe Kinder gegeben, die das gut verkraftet haben und solche, die gelitten haben. 

Die Ausstellung im Schaudepot der Kunsthalle beinhaltet verschiedene Komponenten, mit denen die Besucher:innen auf eine Reise durch die Welt der Wochenkrippen begleitet werden. 

-         Ca. 20 Werke aus dem Sammlungsbestand der Kunsthalle Rostock, die von einer ehemaligen Mitarbeiterin der Kunsthalle, ebenfalls ein Wochenkrippe-Kind, ausgesucht wurden und in einem Kontext zum Thema stehen. 

-         Ein von der international bekannten Künstlerin Nadine Schemmann geschaffenes Werk aus textilen Materialien, ein intuitives Statement mit in sich zerfließenden Farben. -         Eine Installation rund um ein Kinderbettchen aus den 1950er Jahren der DDR mit Kommentaren von Betroffenen der Künstlerin Karla Sachse. 

-         Zehn multimediale Bildsequenzen von Sophie Linz mit Porträts der Betroffenen, Fotografien aus den Wochenkrippen, mit Collagen aus persönlichen Erinnerungsstücken sowie Auszügen aus Interviews mit ihnen, die über Kopfhörer angehört werden. Die Porträtfotografien stammen von der freien Berliner Fotokünstlerin Anja Lehmann. Sie sind eine Auseinandersetzung und Aneignung im Umgang mit der Vergangenheit. 

-         Die Ausstellung wird durch zeithistorische Fotografien und Objekte aus ehemaligen Wochenkrippen sowie Texttafeln und Filme zum Thema ergänzt. Darunter ist auch der Trailer des tschechoslowakischen Films „Kinder ohne Liebe“ aus dem Jahr 1963 über Wochenkrippen, in dem bereits auf die teils schweren psychischen Folgen für die Kinder hingewiesen wurde. Der Film wird erstmals in voller Länge mit deutschen Untertiteln im begleitenden Symposium zu sehen sein.

Wie Kunsthallenleiter Dr. Jörg-Uwe Neumann sagte, könnte die Ausstellung auch die Chance bieten, über neue pädagogische Angebote zu diskutieren. So wird in einigen Bundesländern derzeit an Konzepten der 24-Stunden-Kita gearbeitet. 

Zum Rahmenprogramm: „Was braucht ein Kind, um glücklich zu sein?“ Mit Führungen, Lesungen und Gesprächsabenden lädt die Kunsthalle Rostock ein, sich mit dem Thema Wochenkrippe und der Bedeutung frühkindlicher Fremdbetreuung und Entwicklung auf vielfältige Weise zu beschäftigen.