In der Dämmerung wachsen die Schatten der Pflanzen geheimnisvoll an der Hauswand entlang. Im Vordergrund dieses Schattenspiels tanzen die letzten Sonnenstrahlen auf dem glänzenden Lack eines metallisch-lilafarbenen Cadillacs. In Rosttönen vervollständigen ein in Backsteinen gemauertes Blumenbeet, die darin gepflanzten Sträucher und die strohgewebten Jalousien in der Fensterfront die Bildkomposition, die zugleich eine unheimliche Ruhe ausstrahltIn seiner über fünf Jahrzehnte währenden Karriere hat William Eggleston die Farbfotografie fast im Alleingang als Kunstform etabliert. Neben Stephen Shore und Evelyn Hofer erkannte Eggleston früh die unverwechselbare Kraft der Farbe, ihre einzigartige bildschaffende Qualität zur kontinuierlichen Befragung der Alltagswelt. Ein blaues Sträußchen an einer Haustür, eine bunt gekachelte Gebäudefassade, eine rot gestrichene Zimmerdecke: Schon in der Intensität der Farben lag eine formale und analytische Provokation. Eggleston sah die Schönheit und das Geheimnisvolle im Alltäglichen und verlieh seinen Bildern ein Element des Rätselhaften, das besonders durch die Wechselbeziehung der Farbe zur Wahrnehmung besticht. Seine Faszination für die poetische Visualität des amerikanischen Südens veranlasste Eggleston, seine unmittelbare Umgebung zu erforschen, auch wenn er im Laufe seiner Karriere quer durch die Vereinigten Staaten und die ganze Welt reiste. Seine Kamera stets bei sich, fotografierte er alles mit derselben Feinsinnigkeit. Folglich hat sich sein Ruf als Pionier der Farbfotografie in der ganzen Welt verbreitet.

In seiner frühen Schaffensphase prägten Eggleston noch die Werke von Walker Evans und Henri Cartier-Bresson, die den narrativen, dokumentarischen Stil begründeten, der die fotografische Praxis bis in die 1960er Jahre bestimmte. Durch die Verwendung von Farbe schlug er jedoch schon bald eine gänzlich andere Richtung ein, und das Pathos des einen wurde ihm ebenso fremd wie der entscheidende Augenblick des anderen. William Egglestons Einzelausstellung im Museum of Modern Art, New York, im Jahr 1976, die von John Szarkowski kuratiert wurde, war die erste Präsentation von Farbfotografie in diesem Museum. Die Ausstellung und der begleitende Katalog, William Eggleston‘s Guide, gelten heute weithin als Schlüsselmoment für die Aufnahme des Mediums in den kunsthistorischen Kanon. Sie etablierten Eggleston als einen der führenden Vertreter:innen der Fotografie bis zum heutigen Tag. Die Bedeutung seines Œuvres für die zeitgenössische visuelle Kultur als auch der Einfluss seiner ikonischen Bildsprache auf eine Vielzahl nachfolgender Fotograf:innengenerationen ist ungebrochen. 

Mit William Eggleston . Mystery of the Ordinary präsentiert C/O Berlin vom 28. Januar bis 4. Mai 2023 eine große Retrospektive des US-amerikanischen Meisters der Farbfotografie. Neben berühmten Serien wie Los Alamos zeigt die Ausstellung auch noch nie gezeigte Werke, darunter Bilder aus der Serie The Outlands und Aufnahmen, die zwischen 1981 und 1988 in Berlin entstanden sind. Nach Ausstellungen der Arbeiten von Evelyn Hofer (2005), Fred Herzog (2011), Joel Sternfeld (2012), Stephen Shore (2016) und Joel Meyerowitz (2018) ist die Eggleston-Ausstellung eine weitere wichtige Auseinandersetzung mit der New Color Photography bei C/O Berlin. Zur Ausstellung erscheint ein Buch im Steidl Verlag.

Ermöglicht durch Art Mentor Foundation Lucerne