Mit ausgewählten Wolkenbildern (1968 bis 1979) von Gerhard Richter und Werken jüngeren Datums sowie Installationen von Isabelle Arthuis, Julius Bockelt, Jonas Fischer, Ian Fisher, Noa Jansma, Barbara Klemm, Gerhard Lang, Marie-Jo Lafontaine, Lyoudmila Milanova, Arnulf Rainer, Adrian Sauer, Angela Schwank und Berndnaut Smilde

Der Blick zum Himmel steht im Mittelpunkt der interdisziplinären Ausstellung Wolken. Von Gerhard Richter bis zur Cloud im Frühjahr/Sommer 2023. Künstler:innen geben verschiedene Sichtweisen auf den Himmel frei: Wolken als Sinnbild für Bewegung, Weite, Freiheit, Leichtigkeit, Energie aber auch als Indikator für Wetter und Klima. So hatte der Blick des Menschen in den Himmel schon immer viele Gründe. Wie vielfältig und neugierig Künstler seit Ende der 60er Jahre diesen Blick in den Himmel von unten nach oben, aus der Luft und aus dem All künstlerisch abbilden, zeigt die Ausstellung mit Werken unterschiedlichster Techniken und Medien.

Die „Wolkenreise“ im Museum Sinclair-Haus der Stiftung Kunst und Natur beginnt mit ausgewählten Wolkenbildern (1968 bis 1979) des weltweit renommierten Künstlers Gerhard Richter, die in einen Dialog mit jüngeren Werken internationaler Künstler:innen treten. „Wolken“ in ihren vielgestaltigen Formen und Schattierungen laden ein zum Träumen, Verweilen, Erkunden und Nachdenken. Die Ausstellung zeigt dabei auch, wie Künstler:innen die flüchtigen Momentaufnahmen von Wolken mit verschiedensten Techniken und gestalterischen Mitteln festhalten – beim Rundgang durch das Museum erleben die Besucher:innen den Entwicklungsbogen von Malerei und Zeichnung zu Skulptur, Fotografie, Videokunst und aktueller, internetbasierter Cloud Art, anhand beispielhafter Arbeiten und Installationen von Isabelle Arthuis, Julius Bockelt, Jonas Fischer, Ian Fisher, Noa Jansma, Barbara Klemm, Gerhard Lang, Marie-Jo Lafontaine, Lyoudmila Milanova, Arnulf Rainer, Gerhard Richter, Adrian Sauer, Angela Schwank und Berndnaut Smilde.

Das Wolkenmotiv in der Kunst
Die Ausstellung ist fokussiert auf das Wolkenmotiv als alleinigen Bildgegenstand, losgelöst von der Darstellung als Teil einer Landschaft oder im Kontext weiterer Objekte. Wolken sind in der Kunst seit rund hundert Jahren als ausschließlicher Bildgegenstand zu finden. Bahnbrechend innerhalb dieses Bildtypus nutzte Gerhard Richter (*1932) als erster Künstler seine Fotografien als Vorlagen und Collagematerial für Gemälde und Druckgrafiken anstelle von Skizzen. Von seinen rund 30 Wolkenbildern, entstanden zwischen 1968 und 1979, sind vier Werke aus öffentlichen und privaten Sammlungen im Museum Sinclair-Haus zu sehen. Das Motiv Wolke bietet vielseitige Interpretationsmöglichkeiten: Sie können gegenständlich, aber auch abstrakt beschrieben werden. Wolken können Wetterphänomene aufzeigen oder ihnen werden auf der metaphorischen Ebene philosophische Konzepte und Begriffe wie Freiheit, Metaphysik, Durchlässigkeit, Abgrenzungen usw. zugeschrieben.

Die Künstler:innen nach Gerhard Richter
Wie sich Künstler:innen seit Gerhard Richters Wolkenbildern diesem Motiv angenähert haben, ist eine der zentralen Fragen der Ausstellung. Ein junger Maler, der aktuell die Fotografie als Grundlage für Malerei nutzt, ist der aus Kanada stammende und in Denver (USA) lebende Künstler Ian Fisher(*1984). Von bestechender Schönheit sind Fishers hyperrealistische Wolkenformationen dramatischer Cumulus-Ballungen, häufig in monumentalen Formaten. In seiner umfangreichen Atmosphere-Serie von inzwischen rund 150 Bildern, malt er eine künstlerisch überhöhte Realität basierend auf seinen Fotoaufnahmen von Wetterextremen des amerikanischen Südwestens. In der Ausstellung sind vier seiner Werke zu sehen.

Ebenfalls unter Einbeziehung der Fotografie zeichnen Julius Bockelt (*1986), Arnulf Rainer (*1929) und Angela Schwank (*1967) Wolken. Der in Frankfurt lebende Künstler Julius Bockelt beschäftigt sich im Atelier Goldstein mit Naturphänomenen. Er beobachtet und schraffiert die flüchtigen Schwingungen von Wolken in seinen Tusche-Zeichnungen, gestützt durch ein Fotoarchiv von 40.000 Dateien. Die in Österreich lebende Künstlerin und Physikerin Angela Schwank nähert sich in ihren Arbeiten ausschließlich den Cirruswolken an, die auch als Eis- oder Federwolken bezeichnet werden. Mit feinen Graphitzeichnungen in reichhaltigen Facettierungen, Fotoserien und Fotocollagen bildet sie den natürlichen Formenreichtum dieser Wolkengattung ab. Mit der Technik der Überzeichnung arbeitet der Wiener Künstler Arnulf Rainer. Er hat im Jahr 2000 eine Wolken-Serie von Heliogravuren bzw. Fotoradierungen auf der Druckplatte überarbeitet. Luftströmungen und flüchtige Momente werden hier durch lineare Interpunktion betont. Dabei suggerieren Rainers von der Sonne beleuchtete Wolkenformationen eine metaphysische Ebene – ein wichtiges Thema in seinem Schaffen.
 
Wie so viele Motive ist in der Fotografie ab dem 20. Jahrhundert zunehmend auch die Wolke ein künstlerisches Sujet. Eine Meisterin ihres Fachs ist die Fotografin Barbara Klemm (*1939). Die in Frankfurt lebende Künstlerin war lange als Fotojournalistin für die FAZ tätig, reiste auf den Spuren Johann Wolfgang Goethes nach Italien und kehrte mit einer Serie von Fotografien für die Ausstellung Reisenotizen (2014) im Museum Sinclair-Haus zurück. Von ihren Handabzügen auf Baryt-Fotopapier befinden sich heute 24 Arbeiten in der Sammlung der Stiftung Kunst und Natur, wovon zwei ihrer WolkentudienTeil der Ausstellung sind.
 
Die französisch-belgische Fotografin Isabelle Arthuis (*1969) interpretierte während einer Künstlerresidenz die Stadt Frankfurt aus ihrer Sicht. Die großformatige Schwarzweißfotografie Frankfurt Oktober 1996 zeigt einen Wolkenhimmel mit Diagonalteilung, mit Licht und Schatten. Das gezeigte Wolkenrechteck weist mit seinem Kontrast von Hell und Dunkel auf unterschiedliche Schichtungen und Bedeutungsebenen hin.
 
Marie-Jo Lafontaine (*1950) schuf für die Lobby des Frankfurter DZ Bank-Gebäudes das Wolken-Video Les nuages – Berauscht von Ewigkeit, vergesse ich die Bedeutungslosigkeit der Welt. Im Museum Sinclair-Haus wird die Installation der belgischen Künstlerin in einem intimen Rahmen erfahrbar. In Lafontaines Himmelsvideo strömen Wolken in einem kreisrunden Oculus, das als architektonisches Fenstermotiv seit der Antike wie ein Auge zum Himmel weist. Durch die kreisrunde, quasi randlose Präsentation verliert der dramatische Wolkenhimmel Anfang und Ende, alle Grenzen verschwimmen.
 
Berndnaut Smilde (*1978) widmet sich in seiner Reihe Nimbus der faszinierenden Aura von Wolken. Sein Nimbus Atlas 2015-2016 besteht aus sechs Zeitlupenvideos, in denen von ihm künstlich geschaffene Wolken sich allmählich auflösen. Das Bildmaterial wurde mit einer Hochgeschwindigkeitskamera aufgenommen; verlangsamende Visualisierung zeigt dem menschlichen Auge die minuziöse Entstehung von Wolken und ihre Veränderung unter dem Einfluss von Licht.
 
Gerhard Lang (*1963) richtet seit einigen Jahren beim Zeichnen den Blick nach oben. Sein Arbeitsprozess ist ausschließlich dem Sehen von Wolken im Freien gewidmet. In Herrischried baute er auf einer Anhöhe des Schwarzwalds eine große Staffelei. Es entstehen großformatige Zeichnungen der Wolkenbewegungen, mit dem Blick zum Himmel. Von Zeit zu Zeit verewigen sich auch die Wolken selbst mit Regentropfen auf dem Zeichenuntergrund.  In Zusammen-arbeit mit dem Deutschen Wetterdienst in Offenbach entstand die interdisziplinäre Arbeit Nubi Tempora. Während Lang auf dem Dach die Wolken zeichnerisch einfing, wurden zeitgleich die entsprechenden Satellitendaten von Meteorologen vor Ort gesichert. Das Diptychon stellt die künstlerische und wissenschaftliche Betrachtung des gleichen Wolkenhimmels direkt nebeneinander.

Von der Malerei bis zur Cloud Art
Die Ausstellung gibt einen Überblick über die Entwicklung des Wolkenmotivs in der Kunst – von der Malerei bis hin zur datenverarbeitenden Cloud. Adrian Sauer (*1976) entwickelte für seine digitalen Fotografien eine Software, durch die er seine zweiteiligen Arbeiten jeweils in ein Negativ- und ein Positivbild aufteilt. Das Verständnis von Negativfilm und Bildabzug der analogen Fotografie wird dadurch zugleich demonstriert und auf den Kopf gestellt.
 
Seit dem Launch der ersten Wettersatelliten durch die NASA 1961 ist der Blick auf Wolken um eine Perspektive reicher, nämlich dem Blick aus dem All. Mit Hilfe von digitalen Satellitenaufnahmen und ihren zeitgleich von unten fotografierten Wolken zeigt die aus Bulgarien stammende Künstlerin Lyoudmila Milanova (*1979) eine identische Wolke von beiden Seiten. Aus den flachen Bildern entwickelt sie dreidimensionale Wolkenskulpturen der Reihe Seeing clouds from both sides.
Internetbasierte Cloud Art kreiert Noa Jansma (*1996). Ihr Projekt Buycloud versteht die niederländische Künstlerin als Forschungsarbeit, Naturphänomene werden dabei in verwertbare und damit profitable Ressourcen umgewandelt. Cumulus-Wolken – animiert und mit Preisen versehen – werden über die Cloud zum Kauf angeboten. Damit hinterfragt Jansma wirtschaftliche Interessen und die kommerzielle Ausbeutung der Natur.
Ebenfalls einen kritischen Ansatz verfolgt Jonas Fischer (*1988). Er arbeitet mit Datenbank-Programmen und stellt seit 2020 seinen Cloud Index als wachsendes Online-Archiv zusammen. In diesem interaktiven und frei zugänglichen Index visualisiert Fischer wissenschaftliche Emissionsdaten einzelner fossiler Verbrennungsstätten mit entsprechendem Bildmaterial der dort entstandenen Abgase. Mit seiner Dokumentation schafft er Öffentlichkeit, weist hin auf Umweltverschmutzung und globale Zusammenhänge, besonders im Hinblick auf die Gefahren für Umwelt, Gesundheit und Klima.
 
Nachdenken über Kunst und Natur 
Die Ausstellung Wolken: Von Gerhard Richter bis zur Cloud bietet einen Querschnitt mit herausragenden künstlerischen Positionen unserer Zeit von den späten 1960er Jahren bis heute. Vierzehn internationale Künstler:innen machen Wolken erfahrbar und das Begleitheft zur Ausstellung bietet zu ihren Werken persönliche Stellungnahmen. Die ungebrochene Faszination des Menschen für die Immaterialität und Vergänglichkeit von Wolken zeigt sich in dem mannigfaltigen künstlerischen Schaffen. Kunst und Natur tragen so auch zum Verständnis von aktuellen Fragestellungen rund um Atmosphäre, Weltklima und Natur bei – denn ein verantwortungsvolles Verhältnis zur Mitwelt ist unabdingbar für unser (Über-)Leben auf dem Planeten Erde.