1923 trifft der junge Maler Franz Radziwill (1895-1983) eine eigenwillige Entscheidung: In den Städten Bremen, Hamburg und Berlin feiert er gerade erste Erfolge als Künstler – da kauft er sich ein Fischerhaus in der Provinz. Weit weg von den brodelnden Metropolen der Zwanziger Jahre lebt er von nun an im beschaulichen Dangast am Wattenmeer, das ihm der Kollege Karl Schmidt-Rottluff empfohlen hatte. Hier heiratet er ein Servierfräulein, das er aus dem Kurhaus kennt. In Dangast bleibt Radziwill 60 Jahre bis zu seinem Tod. Bis heute ist sein Name untrennbar mit dem Künstlerort verbunden. Das Fischerhaus mit seinen späteren An- und Ausbauten gilt heute als begehbare, gemauerte Künstlerbiografie.
Für Radziwills Malerei bringt seine Entscheidung für die Provinz aber alles andere als Stillstand: In Dangast bricht Radziwill mit seinem eigenen Stil. Er kam als Expressionist, trug die leuchtenden Farben mit schneller Geste auf und erfand ausdrucksstarke Formen. Nun wendet er sich von dieser Malerei ab – und entdeckt den weiten Raum und das Detail. Wie die Alten Meister gibt er nun jede Kleinigkeit wieder, nur die Farbintensität behält er bei. Diese präzise Malweise wird zu einem Erkennungsmerkmal seines Hauptwerkes.
Über 20 Gemälde sowie Dutzende Aquarelle und Zeichnungen veranschaulichen Radziwills radikalen Stilbruch um 1923. Ansichten von Stadt, Land und Küste finden sich genauso darunter wie Stillleben, häusliche Szenen und Porträts von Familienmitgliedern oder auch bedeutungsschwere Figurenbildnisse.
Besonders spannend: einige frühe Gemälde hat Radziwill verworfen und die Rückseite neu bemalt. Hier zeigt sich der Stilwandel auf zwei Seiten ein und derselben Leinwand. Das wird an fünf Gemälden der Ausstellung nachvollziehbar. Auch präsentiert die Schau erstmals alle vier aquarellierten Künstlerbücher, die Radziwill in den frühen 1920er Jahren schuf. Einige von ihnen schenkte er engen Freunden. Als „Maler-Dichter“ schrieb er damals vermehrt Gedichte und Prosatexte. Radziwill selbst nahm die Zeit um 1923 als malerische Krise wahr, obwohl er immer weitermalte.
Dangast übte auf Radziwill einen besonderen Reiz aus, der sich auch auf seine Malerei auswirkte. Der Landschaft am Jadebusen entlockte er zahlreiche Motive, und gerade für seine beeindruckenden Landschaftsbilder wurde der Maler berühmt. Der Ort und seine Landschaft wurden so sehr Dreh- und Angelpunkt seines Schaffens, dass Radziwill selbst feststellte: „Kein Bild von mir ist ohne Dangast möglich.