Das Museum der bildenden Künste Leipzig präsentiert Arbeiten der Leipziger Fotografin Kerstin Flake (* 1967). Die Künstlerin erhielt im vergangenen Jahr den mit 10.000 Euro dotierten Preis der Leipziger Jahresausstellung.

Kerstin Flake untersucht in ihrer künstlerischen Arbeit die Existenz vertrauter, aber im Verschwinden begriffener Dinge. Dafür sucht sie Orte, Objekte und Räume, in denen Spuren von Leben und Arbeit zu finden sind. Entgegen der klassischen Vorstellung eines fest verorteten Künstlerateliers arbeitet Flake in temporären, sich je nach Werkgruppe wandelnden „Studios“ – Orte, die sich in einem Transformationsprozess befinden. Bislang bevorzugte sie Innenräume: verlassene, vor dem Abbruch stehende Gründerzeithäuser [Fake Spaces], Plattenbauten [Shaking Surfaces], leere Fabriken [Running out] oder ganz aktuell das Bauhaus Meisterhaus Muche in Dessau [Unsteady Stages]. Seit einiger Zeit erweitert die Künstlerin ihren Blick und arbeitet auch im städtischen Außenraum [Good Year / Bad Year] sowie in Landschaftsräumen, zum Beispiel in der Dünenlandschaft auf dem Darß an der Ostsee [Tumble by].

Mit der Kamera übersetzt Kerstin Flake ihre fragilen Installationen in ein zweidimensionales, beständiges Bild. In ihren Arbeiten gewinnen die Gegenstände ein ungeahntes Eigenleben. Zum einen werden sie zu Protagonisten; sie handeln und werden erstmals porträtiert. Zum anderen werden sie von ihrer ursprünglichen Bedeutung befreitund mit neuen Eigenschaften versehen, die an einen ungereimten, widersinnigen Spuk denken lassen, denn die physikalischen Gesetze spielen keine Rolle mehr. Die Dingevibrieren und schweben. Sie setzen den vertrauten (Bild-)Raum in Bewegung und irritieren die Betrachtenden. Überraschend übernehmen sie selbst die Choreografie.

Die Arbeiten Fake Spaces (2006–2009) entstanden in leerstehenden Gründerzeithäusern. Zu sehen sind ironisch gewendete Gegenstände, wie beispielsweise Tapeten mit Kachelmustern, ein Kohleofen, der zusätzlich mit Schogetten verkleidet ist, eine Figur, die kopfüber eine Leiter erklimmt oder ein Wellensittich aus Plastik. Die vertraute Ordnung ist auf den Kopf gestellt. Es sind (Bild-)Störungen und (Raum-)Eingriffe, die Kerstin Flake in den verlassenen Wohnungen vor deren Abriss oder Umbau inszeniert. Für einen vorübergehenden Zeitraum nimmt Flake Besitz von den Räumlichkeiten, die sie als Bühne und Kulisse ihrer Bilder nutzt. Konzentriert erforscht sie das Terrain, studiert den Lichteinfall und entwickelt Bildräume. Es ist ein langsamer Prozess, bis sich die Idee eines Raumes im Raum herausbildet. Durch ihr Arrangement der Dinge entlockt sie den Räumen neue, teils absurde Geschichten.

In Shaking Surfaces (2018–2021) hat die Künstlerin Relikte aus einer analogen Wirklichkeit – einen Super-8-Projektor oder einen DIA Rollfilm – im Bild versammelt und festgehalten. Die Gegenstände zeigen eindrucksvoll ihr Potenzial, scheinbar selbsttätig geraten sie in Bewegung, ein schwungvoller wie fragiler Auftritt wird dokumentiert. Die Bewegung im Bild beendet den Stillstand und lädt ein, über die Verschiebung von Perspektive und Bedeutung nachzudenken. Die rätselhaft anmutenden Szenen sind ein Angebot, den Wellen unhörbarer Melodien nachzuspüren.

In der Ausstellung im MdbK bezieht die Künstlerin den Ausstellungsraum in ihre Arbeit mit ein. Sie kombiniert Fotografien und Objekte so, dass diese untereinander kommunizieren. Eigens gebaute „Videostühle“ und ein rollenloser Koffer erweitern die Bilder, Motive der Serie Replaces (2012) schweben rahmenlos im Raum. Werke aus unterschiedlichen Serien und Jahren begegnen sich und vereinen sich in der neuen Nachbarschaft zu einem temporären, neuen Werkkomplex.

DIE KÜNSTLERIN
Kerstin Flake, geboren 1967 in Karlsruhe, studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Von 1997 bis 2003 war sie Studentin an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig in der Fachklasse Fotografie und Medien bei Professor Joachim Brohm. Arbeitsstipendien führten sie 2017 drei Monate nach Columbus/Ohio (USA), im September 2022 in das Künstlerhaus Lukas (Ahrenshoop) sowie im November 2022 zu einem Arbeitsaufenthalt am Bauhaus Dessau. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Leipzig.

Die Publikation Kerstin Flake, Bent Angles erhielt den Deutschen Fotobuchpreis 2021/22 (Silbermedaille in der Kategorie Fotograf*in). Zahlreiche Gruppen- und Einzelausstellungen fanden u. a. im Kunstverein Bochum, bei den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und im Künstlerhaus Bethanien, Berlin statt.

DER PREIS
Der Verein Leipziger Jahresausstellung e.V. wurde im Februar 1992 gegründet und bezieht sich auf die Tradition der von 1912 bis 1927 unter dem Vorsitz von Max Klinger in Leipzig existierenden Leipziger Jahresausstellung (LIA). Ziel ist es, die Tradition der bürgerlichen Kunstförderung in der Stadt fortzuführen und einmal im Jahr eine Ausstellung, einschließlich Katalog, für Leipziger Künstler*innen und Gäste zu veranstalten.

Zur Ausstellung wird seit einigen Jahren ein Preis – gestiftet von der Sparkasse Leipzig, der Elke und Thomas Loest Stiftung und der Doris-Günther-Stiftung – verliehen, der neben dem Preisgeld eine Einzelausstellung beinhaltet. 2022 war der Preis der Leipziger Jahresausstellung der Fotografin Bertha Wehnert-Beckmann (1815–1901) gewidmet.