Wie sieht Protest aus? Wie macht Widerstand auf sich aufmerksam? Wie lassen sich Missstände und Missbrauch, Verbrechen und Vergehen anprangern und bekämpfen? Welche Slogans, Zeichen und Gesten gab und gibt es fu?r die brennenden Themen unserer Welt?

Zum 100. Geburtstag von Otl Aicher (1922-1991), einem der einflussreichsten Kommunikationsdesigner des 20. Jahrhunderts, hat das Museum Ulm eine Ausstellung realisiert, welche die Gestaltung von Widerstand und Protest in der internationalen Gegenwartskultur zum Thema macht.

Protest und ziviler Ungehorsam waren starke Charakterzüge des politischen Menschen Otl Aicher. Bereits als Jugendlicher entwickelte er eine widerständige Haltung, zunächst gegen die Vereinnahmung durch das nationalsozialistische Unrechtsregime, welches nicht davor zurückschreckte, visuelle Gestaltung als Mittel zur Manipulation einzusetzen. Er blieb Aufmärschen fern, verweigerte den Beitritt zur Hitler-Jugend, trug keine Parteiabzeichen und unterlief jegliche Maßnahmen der ideologischen Gleichschaltung.

Später entfaltete sich seine Opposition zu einem lebenslangen öffentlichen Bekenntnis. Noch als 62-jähriger blockierte er gemeinsam mit seiner Frau Inge Aicher-Scholl, mit Walter Jens, Heinrich Böll, Dorothee Sölle, Heinrich Albertz, Erhard Eppler, Günter Grass und vielen anderen Gleichgesinnten aus der Kulturszene in Mutlangen die Zufahrt zum Sonderwaffenlager, um gegen die Stationierung der Pershing II-Raketen zu demonstrieren.

Otl Aichers politischer Widerspruchsgeist war prägend für sein gestalterisches Werk. Schon in den 1960er-Jahren entwarf er Plakate und Ansteckblumen aus Papier für die Ostermärsche. 1983 ließ er Figuren, die an seine Piktogramme erinnern, auf ein Textilband drucken, um es im Pershing II-Protest auf der Schwäbischen Alb den an der Menschenkette Teilnehmenden in die Hand zu geben. Und in Erinnerung an die Widerstandsgruppe „Die Weiße Rose“ schuf Otl Aicher ein viel zitiertes Logo.

Wie aber sieht Protest heute aus? Lebt Widerstand nur von der unendlichen medialen Schleife, die die immer gleichen Köpfe zeigt? Finden sich neue Symbole für gegenwärtige Themen? Oder anders gefragt: Wie sieht das key visual der Fridays for Future- oder Black-Life-Matters-Bewegungen aus? Gibt es unverwechselbare Symbole, die vergleichbar mit Pablo Picassos Taube für die internationale Friedensbewegung zum interkulturellen und global verständlichen Zeichen geworden sind? Ist das künstlerisch gestaltete Plakate, das seine Wirkung vor allem im öffentlichen Raum entfaltet und das im 20. Jahrhundert zum bevorzugten Instrument für Produktwerbung und politische Propaganda wurde, heute noch das Medium der Zeit?

Die Ausstellung präsentiert internationale Künstler*innen und Grafiker*innen, die in Malerei, Zeichnung, Bildmontagen, Plakat- und Flugblattkampagnen, Leuchtreklamen, Anzeigentafeln, Billboards, Videos und Animationen sich mit Slogans, Symbolen, Gesten und Signalen von Widerstand, Aufklärung und Protest befassen, zu den Themen Umwelt, Frieden, Demokratie, Konsum, Gesundheit, Menschenrechte, Gleichberechtigung und Diversität.

Als Ergänzung sind Beiträge aus einem Online-Aufruf zu sehen: Über die Plattform nextmuseum.io sind Aktivist*innen aufgefordert worden, ihre Leitgedanken und Motive der Empörung, des Widerspruchs und der Opposition in einfallsreichen Formulierungen und Visualisierungen für die Produktion von Merchandise-Artikeln einzureichen. Ganz aktuelle, an der Basis entstandene Botschaften erhalten hier ein Forum.

Mit Werken u.a. von:
Otl Aicher I Noma Bar I AA Bronson I Jeremy Deller I (Frank) Shepard Fairey I Parastou Forouhar I Grapus I Guerilla Girls I Tina Hage I Jenny Holzer I Jeff Hong I Mitsuo Katsui, Barbara Kruger I Luba Lukova I Tine Melzer I Pierre Mendell I Csaba Nemes I Mohamed Ben Soltane I Klaus Staeck I Jinoos Taghizadeh I Oliviero Toscani I Tomi Ungerer I Jan Wilker

Die Ausstellung wird durch ein umfassendes Veranstaltungsprogramm sowie eine erscheinende Publikation begleitet.

Noma Bar, Burka Ban, The Guardian, 2006, Courtesy by the artist
12.11.2022 - 16.04.2023

Protest! gestalten. Von Otl Aicher bis heute

Museum Ulm

Marktplatz 9
89073 Ulm