Der in Hamburg lebende Fotograf Jochen Lempert geht den Spuren der Natur nach: Hier hat ein Leuchtkäfer den Film selbst belichtet, dort sind kleine Frösche auf sensiblem Fotopapier herumgehüpft und haben während der Belichtung geisterhafte Abdrücke hinterlassen. Die Abbildungsmöglichkeiten des Mediums Fotografie verschmelzen mit den Eigenschaften der Tiere: es entsteht ein Werk, das sich als künstlerische Variation der Biologie interpretieren lässt.

Frösche, Tauben, Schwäne, Insekten, Pflanzen, Menschen, Wolken, das Meer – die Vielfalt der Natur bevölkert Lemperts Bilder. Die Fotografien verwickeln die Betrachter:innen beim näheren Hinsehen in ein Spiel der Assoziationen und Vergleiche. Sie zeichnen filigrane Formensprachen nach und spielen dabei mit bildgebenden Verfahren der Natur wie Schmetterlingsflügeln und Mechanismen unserer Wahrnehmung. Das Schwarz-Weiß und die Körnigkeit der fotografischen Handabzüge erlauben eine Abstraktion im Erleben unserer Umwelt. Ihr pointierter Einsatz lädt uns ein, genauer hinzuschauen, uns Zeit zu nehmen und die Magie natürlicher Anordnungen zu bestaunen. Die feine Formation von Sommersprossen auf einer Schulter, das perfekt ausbalancierte Blatt auf dem Rücken einer Ameise oder die wackeligen Türme aus Meeresschwämmen. Das Besondere im scheinbar Gewöhnlichen tritt hervor: Wann hat sich Alltägliches jemals als so schön offenbart?

Doch Jochen Lemperts poetisches Werk stellt uns die Natur in einem Zustand vor, der immer mehr in Gefahr gerät: Die unwiderruflichen Eingriffe des Menschen in die Umwelt verkleinern die Überlebenschancen unserer Tier- und Pflanzenwelt – eine Millionen Arten sind derzeit vom Aussterben bedroht. Lemperts seit den 1990er Jahren andauernde fotografische Erkundung des Zusammenspiels von Mensch und Umwelt nimmt heute eine neue Brisanz an. Die Faszination, Neugier und Begeisterung für die Natur, die aus jedem seiner Bilder sprechen, können uns nur daran erinnern, wie wichtig der Erhalt dieser einzigartigen Vielfalt ist.

Mit Jochen Lempert: Lingering Sensations präsentiert C/O Berlin die erste institutionelle Ausstellung von Jochen Lempert in Berlin. In drei thematisch organisierten Kapiteln erforschen Wandarbeiten in Kombination mit der Präsentation in Vitrinen grundsätzliche Parameter seines Werks – von den Anfängen in den 1990er-Jahren bis heute. 

Die Präsentation wird um eine visuelle Biografie ergänzt, die mit Einladungskarten, Postern und anderen vom Künstler gestalteten Drucksachen von der Entwicklung dieses aufregenden und international einzigartigen Werks erzählt.

Die Ausstellung entsteht in Zusammenarbeit mit dem Centre Pompidou, Paris (FR) und dem Huis Marseille, Amsterdam (NL). Zur Ausstellung erscheint ein umfangreiches Künstlerbuch im Verlag der Buchhandlung Walther König.

Jochen Lempert (*1958) ist studierter Biologe. Zwischen 1979 und 1989 war er Mitglied der Experimentalfilmgruppe Schmelzdahin, die sich mit der Kombination von chemischen Verfahren und Zelluloidfilm beschäftigten. Nach dieser fruchtbaren Zusammenarbeit begann er fotografisch zu arbeiten und erforscht seit den 1990erJahren den Dialog zwischen Natur und Mensch. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen für seine fotografische Arbeit, darunter das Stipendium für zeitgenössische deutsche Fotografie der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung (1993) sowie den Camera Austria-Preis für zeitgenössische Fotografie (2017). Jochen Lempert hat u.a. im Museum Ludwig Köln (2010), in der Hamburger Kunsthalle (2013), im Sprengel Museum Hannover (2017), im Centre d‘art contemporain d‘Ivry – le Crédac und im Contemporary Art Center, Vilnius (beide 2020) und im Portikus, Frankfurt/Main (2022) ausgestellt. Seine Arbeiten sind in internationalen Sammlungen wie der des Centre Pompidou, Paris und dem Museum of Modern Art, New York vertreten.