Schaufenster, Porträts, Mauern und Zäune: Riemanns fotografisches Hauptwerk besteht aus Serien verschiedenster Motive, die er in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts in der DDR aufgenommen hat. Details des Alltags und der räumlichen Umgebung vermitteln in seinen sozialdokumentarischen Fotografien einen Eindruck des Lebens in der DDR. Riemann zeigt die deutsche Geschichte im Kleinen, streift mit seiner Kamera als Chronist durch Berlin und fängt Details ein, die bei heutiger Betrachtung aus einer anderen Welt zu stammen scheinen. Neben sachlichen und zugleich empathischen Einblicken in das Leben in einem Altersheim oder einem Heim für Menschen mit geistiger Behinderung und dem humoristischen Festhalten des Freizeitvergnügens auf der Trabrennbahn, geben die Fotografien nicht zuletzt Auskunft über die Gestaltung des öffentlichen Raums. Seien es die Begrenzungen durch Mauern und Zäune, sei es lieblos-kreativ präsentierte (Mangel-)Ware in Schaufenstern oder Propagandaschriftzüge – all diese Elemente sind auch baulicher Ausdruck der politischen Strukturen der DDR, die Riemann unter risikoreichen Bedingungen fotografisch festhält.

Betrachtet man die Fotografien, so scheint sich aus dem spannenden Zusammenspiel von erzählerischen Elementen und formaler Gestaltung, von Anteilnahme und Distanz die subtile Systemkritik der Fotografien abzuleiten, die in Riemanns Perspektive auf den DDR-Alltag immer auch mit einem persönlichen Blick des Fotografen auf sein eigenes Leben verbunden ist. Hier handelt es sich um historische Dokumente, die zugleich ihren künstlerischen Eigenwert aufgrund der innerbildlichen Gestaltung entwickeln und in ihrem subtilen erzählerischen Impuls zur Geschichtsschreibung beitragen.

Anhand von sechs ausgewählten Foto-Serien präsentiert die Ausstellung erstmals einen repräsentativen Querschnitt durch Riemanns beindruckend facettenreiches Werk.

Die Ausstellung, die sich aus Werkbeständen einer umfassenden Schenkung Dietmar Riemanns an die Stiftung Situation Kunst zusammensetzt, wird im Anschluss an die Präsentation in Bochum in der Rostocker Kunsthalle (14. Mai-23. Juli 2023), dem Kunsthaus Wiesbaden (27. September-26. November 2023) sowie im Willy-Brandt- Haus in Berlin (22. Januar-07. April 2024) gezeigt werden. 

Dietmar Riemann wurde 1950 geboren und wuchs in Sachsen auf. Seiner Lehre zum Fotografen und der anschließenden Tätigkeit als Werksfotograf im Boxberger Braunkohlekraftwerk folgte ein Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Im Anschluss arbeitete Riemann vorwiegend freiberuflich, war mit seinen sozialdokumentarischen Fotografien in mehreren Ausstellungen vertreten und veröffentlichte sie als Fotobücher (u.a. Was für eine Insel in was für einem Meer – Leben mit geistig Behinderten, mit einem Essay von Franz Fühmann. Hinstorff, Rostock 1986), bis ihn 1986 ein Ausstellungsverbot in öffentlichen Institutionen ereilte. 1989 wird Riemanns Antrag nach dreijähriger Bearbeitungszeit auf ständige Ausreise und auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR stattgegeben, so dass er mit Frau und Tochter in die BRD umsiedeln konnte. 2005 veröffentlicht er unter dem Titel Laufzettel sein Tagebuch einer Ausreise bei Vandenhoeck und Ruprecht, das in den Medien breit rezipiert wurde (u.a. Die ZEIT, WDR, japanisches Fernsehen). Seine Fotografien sind international in Ausstellungen vertreten und auch in der Dauerausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu sehen. Riemann ist weiterhin fotografisch tätig.


Öffungszeiten:
Mittwoch - Freitag: 14:00 - 18:00 Uhr
Samstag - Sonntag: 12:00 - 18:00 Uhr
Montag - Dienstag: geschlossen

Weitere Informationen direkt unter: situation-kunst.de

Renntage – Menschen auf der Trabrennbahn (Ost-)Berlin-Karlshorst, 1975–76/1979 © Situation Kunst / Dietmar Riemann
02.02. - 02.04.2023

Dietmar Riemann: Innere Angelegenheiten. Fotografien von 1975-89

Situation Kunst

Nevelstraße 29c
44795 Bochum