Die Gruppenausstellung Over Land and Sea verweist auf die migrantische Geschichte der Menschheit, ihre Gegenwart und Zukunft. Zu sehen sind Skulpturen, Wandreliefs sowie Video- und Soundinstallationen von Teresa Solar Abboud, Eliška Konečná, Allora & Calzadilla sowie Louis d’Heudières und Nina Kuttler. Im Spannungsfeld zwischen Greifbarem und Mythischem, Lebendigem und industriell Produziertem vergegenwärtigen die Arbeiten die menschliche Verwundbarkeit und gleichzeitige Fähigkeit zum Wandel und zur Transformation. Sie regen zu einer humanistischen Reflexion darüber an, wie wir heute leben.
Im Zentrum der Ausstellung steht Teresa Solar Abbouds Installation Osteoclast (I do not know how I came to be on board this ship, this navel of my ark), die zum ersten Mal in Deutschland zu sehen ist. In den großformatigen Skulpturen zieht die Künstlerin eine Parallele zwischen Knochen – hohlen Strukturen, Trägern von Gewebe, Venen und Zellgemeinschaften – und Schiffen – Vehikeln der Migration, Überbringern von Menschen und Wissen. Im Gegensatz zu den riesigen Schiffen, die in Hamburgs Werften gebaut und angedockt werden, setzen Solars Abbouds Kanus den menschlichen Körper auf Meereshöhe und erinnern an seine Zerbrechlichkeit im Angesicht der Kraft des Wassers. Inspiriert von Knochenflöten – dem ältesten Blasinstrument der Welt – stellt die Künstlerin eine Verbindung her zwischen dem Atem der Menschen und der Bewegung, die der Wind den Booten auf dem Ozean verleiht.
In ihren textilen Flachreliefs greift Eliška Konečná symbolisch Themen auf, die bereits in Solar Abbouds Installation durch die Referenz zu Fluchtrouten über das Meer anklingen. Die Künstlerin beschäftigt sich mit universellen Fragen nach Existenz, Moral und Begehren. Die Figuren in ihrem Triptychon Thirst wirken wie zeitlose antike Götter, die unweigerlich menschliche Fehler machen. Ihre hybriden Körper sind sowohl Ausdruck ihres Begehrens als auch Objekt ihrer Bestrafung. Durch die Abbildung von Szenen, in denen die Figuren sich waschen – scheinbar auf der Suche nach Vergebung –, werden Schmerz und Schuld, Resignation und Akzeptanz gegenübergestellt. Dabei verschwindet das Motiv des Wassers nicht, es entweicht und verwandelt sich.
Die Videoarbeit Raptor's Rapture von Allora & Calzadilla setzt bei der Frühzeit der Menschheit an und verweist auf das Entstehen sozialer Bindungen durch Musik, das Wachstum der Erdbevölkerung sowie ihre territoriale Ausbreitung. Eine Flötistin, die auf prähistorische Instrumente spezialisiert ist, spielt in dem Video in Gegenwart eines lebendigen Gänsegeiers auf einem Flügelknochen – einem der ältesten je gefundene Musikinstrumente. Die akustische Spur, die von der Flöte ausgeht, erweist sich als eine Zeitkapsel, die uns aus der Entstehungsphase der Musik und der Sprache erreicht.
Den Kreis schließend entwickeln Nina Kuttler und Louis d'Heudières eine spekulative Zukunftsvision. Ihre für das Projekt neu entstandene Installation, bestehend aus Soundarbeiten und Skulpturen, handelt vom Abbau eines Minerals unter fragwürdigen Bedingungen, um in den kapitalistischen Kreislauf eingespeist zu werden. Das Schürfen von seltenen Erden ist ein erheblicher landschaftlicher Eingriff, der häufig ganze Gebiete unbewohnbar macht. Sowohl klimatische Veränderungen als auch die direkte Ausbeutung natürlicher Ressourcen sind Auslöser für Migration. Zugleich ist der Handel mit Waren und Rohstoffen Teil des Transaktionsnetzwerks, in dem wir uns als Mitglieder der kapitalistischen Gesellschaft zwangsläufig befinden, ohne unseren physischen Körper zu bewegen.
Inhaltlich erweitert wird das Projekt durch zwei Kooperationen. Gemeinsam mit dem Metropolis Kino wird dort am 23. und 26. Mai jeweils ein Film zum Thema Flucht präsentiert: Atlantique, das preisgekrönte Debut der französisch-senegalesischen Filmemacherin und Schauspielerin Mati Diop, erzählt die Geschichte einer jungen Frau, deren Leben sich drastisch verändert, nachdem ihr Geliebter auf der Bootsüberfahrt nach Europa verschwindet. Der mit dem Goldenen Bären ausgezeichnete Dokumentarfilm Seefeuer des Regisseurs Gianfranco Rosi porträtiert die Insel Lampedusa, wo zwei Welten aufeinanderprallen – der Überlebenskampf der Geflüchteten und der Alltag der einheimischen Inselbewohner*innen.
Teil des Veranstaltungsangebots ist außerdem eine Partnerschaft mit der Hafengruppe Hamburg. Bei ihren alternativen Hafenrundfahrten steht eine kritische Betrachtung des drittgrößten Hafens Europas auf dem Programm. An drei Donnerstagen im Monat erfahren Teilnehmer*innen bei einer Barkassenfahrt zwischen den Kanälen der Speicherstadt, Containerterminals und Kreuzfahrtschiffen mehr über Themen wie Migration und Rassismus, die Ungleichheiten des Welthandels oder Frauenarbeit im Hafen. Besucher*innen des Kunsthauses können mit ihrem Ausstellungsticket zum vergünstigten Preis von 20 bzw. 26 € (je nach Dauer) an einer Rundfahrt teilnehmen. Umgekehrt erhalten Teilnehmer*innen einer Hafentour ermäßigten Eintritt von 4 € in die Ausstellung.