Um die gefeierte neue Filminstallation EUPHORIA von Julian Rosefeldt, die im Weltkulturerbe Völklinger Hütte ihre institutionelle Europapremiere hat, ereignet sich ab dem 11. Dezember eine große Werkschau des Künstlers, der international für seine visuell opulenten und virtuos choreografierten Filminstallationen bekannt ist. JULIAN ROSEFELDT. WHEN WE ARE GONE (11. Dezember 2022 bis 3. September 2023) präsentiert sieben seiner zum Teil raumgreifenden Arbeiten aus den letzten zwanzig Jahren an eigens ausgewählten Orten in und unter der mehr als 6.000 Quadratmeter großen Gebläsehalle mit ihren gigantischen Maschinen und Schwungrädern: Sie wird so zum kongenialen Schauplatz für die audiovisuellen Gesellschaftsreflexionen des Berliner Künstlers.

EUPHORIA stellt als künstlerische Tour de Force durch die Geschichte des Kapitalismus die Frage, warum dieser bis heute alternativlos zu sein scheint. Drummer geben den Takt vor, ein Chor singt: So wird die bildstark umgesetzte Textcollage aus Zitaten von Adorno, Virginie Despentes und Einstein bis zu Michel Houellebecq und Snoop Dogg zur veritablen Film-Oper. Wir betreten die Empfangshalle einer Bank mit Angestellten im Kapital- und Tanzrausch, fahren mit Giancarlo Esposito im Taxi durch ein explosives New York, stehen mit philosophierenden Obdachlosen in Kiew an der Feuertonne oder mit Lohnarbeiterinnen am Paketlagerband, wir lauschen jungen Skateboarder:innen in einem verlassenen Busdepot und folgen einem animierten Tiger mit der Stimme von Cate Blanchett durch einen menschenleeren Supermarkt.

„Im Zentrum von EUPHORIA steht die Dynamik des Kapitalismus, oder genauer: der entfesselten neoliberalen Marktwirtschaft mit ihren historischen, sozialen und politischen Verstrickungen. Paradoxerweise musste ich mich, um eine kapitalismuskritische Arbeit produzieren zu können, selbst immer wieder der Logik des Systems unterwerfen. Das sogenannte System, in dem wir leben und auf das wir gerne kritisch zeigen, sind wir eben alle auch selbst.“, so Julian Rosefeldt zur Allgegenwart des Kapitalismus.

Die ebenfalls als institutionelle Europapremiere zu entdeckende Produktion PENUMBRA blickt dagegen in eine unbestimmte Zukunft: In außergewöhnlicher Entschleunigung entdecken wir im Weltraum einen Planeten, überfliegen dessen Wüstenlandschaften und tauchen zu den elegischen Klängen von Robert Schumanns „Szenen aus Goethes Faust“ durch die Baumkronen einer waldigen Oase in Slow-Motion-Bilder eines rauschhaften Rave ein. Großes Finale der Menschheit? Endzeitvision? Nicht umsonst heißt die Schau WHEN WE ARE GONE.

„JULIAN ROSEFELDT. WHEN WE ARE GONE ist ein Gesamtkunstwerk aus Film, Tanz, Text und Musik in einem exemplarischen Moment und Monument des Anthropozäns: Eine Werkschau als Rückschau auf Geschichte, Gegenwart und Zukunft, deren sinnliche Kraft und gedankliche Tiefenschärfe die Besucher:innen ebenso irritieren wie faszinieren wird“, so Generaldirektor Dr. Ralf Beil, Kurator der Ausstellung.

Neben den beiden neuen Filminstallationen sind wesentliche audiovisuelle Wegmarken des Künstlers wie IN THE LAND OF DROUGHT (2015/17), THE SWAP (2015), DEEP GOLD (2013/14) und UNKNOWN SOLDIER (2007) zu erleben. Die früheste Arbeit ist MEINE KUNST KRIEGT HIER ZU FRESSEN – HOMMAGE À MAX BECKMANN von 2002, eine Video-Installation mit historischen Filmsequenzen zu den Schlachten des I. Weltkriegs, dem Variété der Roaring Twenties, den Luftkämpfen im II. Weltkrieg und New York – der Stadt, in der die Freiheit zumindest eine Statue hat. Die vier in Zusammenarbeit mit Piero Steinle für eine Max Beckmann-Retrospektive im Centre Pompidou Paris entstandenen Film- und Toncollagen pointieren die Hintergründe für das Schaffen des Malers und evozieren zugleich das Stationendrama der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

UNKNOWN SOLDIER, der namenlose Soldat im blitzartig aufleuchtenden freien Fall, ist angesichts der Kriegsrealität in Europa von trauriger Aktualität. Auch die Anspannung des Tanzes auf dem Vulkan in DEEP GOLD, einem surrealen Revival der 1920-er Jahre, grundiert von Trommelwirbeln, Tango und Wagner-Arie, scheint uns bei aller Distanz seltsam nah. In THE SWAP verweisen filmische Stereotypen von Koffertausch, Waffenritualen und qualmenden Autoreifen in permanenter Wiederholung auf die gesamtgesellschaftliche Allgegenwart von Kriminalität und die Absurdität globaler finanzieller Transaktionen. Die Installation IN THE LAND OF DROUGHT schließlich fesselt als machtvoll-meditativer Abgesang auf unser menschengemachtes Zeitalter, das Anthropozän: Magistrale Drohnen-Aufnahmen zeigen winzige Laboranzugwesen in den Resten unserer Zivilisation – den Filmkulissen antiker Städte in Nordafrika sowie den Abraumhalden des Ruhrgebiets.

Artist Talk
Am Sonntag, den 11. Dezember um 15 Uhr spricht Julian Rosefeldt mit Kurator Ralf Beil in der Gebläsehalle über seine künstlerische Arbeit. Im Anschluss haben die Besucher:innen Gelegenheit, dem Künstler ihre Fragen zu WHEN WE ARE GONE und seinem Gesamtwerk zu stellen.

Der Katalog
Während der Laufzeit der Ausstellung erscheint zur gleichnamigen zentralen Arbeit das Katalogbuch EUPHORIA, herausgegeben von Ralf Beil für das Weltkulturerbe Völklinger Hütte, mit der gesamten Textcollage von Julian Rosefeldt, Installationsaufnahmen, Making of-Fotos und Bildstrecken aus den sechs Episoden der raumgreifenden Filminstallation, sowie Essays von Ralf Beil und weiteren Autor:innen rund um die Themenkomplexe der Filminstallation.

JULIAN ROSEFELDT. WHEN WE ARE GONE
Die Film- und Videoinstallationen

EUPHORIA, 2016-2022
24-Kanal-Filminstallation, Loop, 1 Stunde 54 Minuten
Große Spielfläche Gebläsehalle

PENUMBRA, 2019 – 2022
1-Kanal-Filminstallation, Loop, 18 Minuten
Kinoraum der Verdichterhalle

IN THE LAND OF DROUGHT, 2015/2017
1-Kanal-Filminstallation, Loop, 43 Minuten
Verdichterhalle

THE SWAP, 2015
1-Kanal-Filminstallation, Loop, 15 Minuten
Tiefgeschoss unter der Gebläsehalle, 
erreichbar über einen historischen Treppenabgang

DEEP GOLD, 2013/14
1-Kanal-Filminstallation, Loop, 1 Stunde 27 Minuten
Kleine Spielfläche Gebläsehalle

UNKNOWN SOLDIER, 2007
1-Kanal-Video, ohne Ton, Loop, 1 Minute
Tiefgeschoss unter der Gebläsehalle,
erreichbar über einen historischen Treppenabgang

Julian Rosefeldt / Piero Steinle
MEINE KUNST KRIEGT HIER ZU FRESSEN – HOMMAGE À MAX BECKMANN, 2002
4-Kanal-Videoinstallation in vier Teilen, Loop, insgesamt 25 Minuten
Verschiedene Projektionsorte zwischen den Maschinen der Gebläsehalle

JULIAN ROSEFELDT
Der in Berlin lebende Künstler Julian Rosefeldt (*1965 in München) studierte Architektur in München und Barcelona. Gleichermaßen inspiriert von der Geschichte des Films, der Kunst und der Populärkultur, verwendet Rosefeldt insbesondere zu Beginn seiner Karriere vertraute filmische Inhalte, um die Zuschauer:innen dann unversehens in surreale, theatralische Bereiche zu entführen. Oft setzt er Humor und Satire ein, wenn er das Publikum mit irritierenden Ritualen des Alltags konfrontiert. In den letzten Jahren hat er sich vermehrt den großen Fragen unserer Zeit zugewandt und befragt Künstlermanifeste ebenso wie Zeit- und Raumvorstellungen. Sein besonderes Interesse gilt dabei neben Kunst und Film dem Theater und der Musik: Er arbeitet im besten Sinne spartenübergreifend.

Julian Rosefeldt hat seit 2011 eine Professur für Medienkunst an der Akademie der Bildenden Künste in München inne. Seine Werke werden weltweit in Museen, auf Festivals und in Opernhäusern gezeigt.

Jüngste Einzelausstellungen: Park Avenue Armory, New York (2022), Museum MACAN (2020), Jakarta, Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Washington (2019), The Israel Museum, Jerusalem (2019), Hauser & Wirth, Los Angeles (2018), Musée d'Art Contemporain Montréal (2018), Auckland Art Gallery (2018), Nikolaj Kunsthal, Kopenhagen (2017), HOW Art Museum, Shanghai (2017), National Gallery Prague (2017), Park Avenue Armory, New York (2016), Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin (2016), Sprengel Museum Hannover (2016) und ACMI – Australian Centre for the Moving Image, Melbourne (2015).

Ausgewählte Sammlungen: Art Gallery of New South Wales, Sydney | Australian Centre for the Moving Image, Melbourne | Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Munich | Berlinische Galerie, Berlin | CIFO – Cisneros Fontanals Art Foundation, Miami | Deutsche Bank Collection, Frankfurt am Main | Fundación Helga de Alvear, Cáceres | Goetz Collection, Munich | Hoffmann Collection, Berlin | Kunstmuseum Bonn | Kunstmuseum Wolfsburg | MoMA – The Museum of Modern Art, New York | MUSAC – Museo de Arte Contemporáneo de Castilla y León, León | Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin | National Gallery of Victoria, Melbourne | Staatsgalerie, Stuttgart | Sprengel Museum, Hannover | T-B A21 – Thyssen-Bornemisza Art Contemporary, Vienna | The Israel Museum, Jerusalem | Wemhöner Collection, Berlin. 

Julian Rosefeldt EUPHORIA 2022
Die raumgreifende immersive Filminstallation EUPHORIA, die das Herzstück der Ausstellung bildet, hinterfragt das Credo endlosen wirtschaftlichen Wachstums und reflektiert über die mannigfaltigen historischen und sozialen Implikationen des Kapitalismus und dessen radikalster Ausformung – die entfesselte neoliberale Marktwirtschaft. Aus Gedanken und Überlegungen von über hundert Ökonom:innen, Schriftsteller:innen, Musiker:innen und Philosoph:innen hat Rosefeldt Textcollagen erstellt, die er marginalisierten Figuren unserer Gegenwart in den Mund legt. Als Monologe und Dialoge nehmen die Textfragmente neue Bedeutungen in realen und imaginären Szenerien an: eine Bankhalle, in der eine surreale Tanzchoreografie und Akrobatik dargeboten werden, fünf Obdachlose, die über Fragen der Wirtschaftstheorie diskutieren oder ein menschenleerer Supermarkt, den ein singender Tiger verwüstet. In seinem Streifzug durch die Geschichte der menschlichen Gier geht Rosefeldt der Frage nach, warum das Wirtschaftssystem, in dem wir leben und agieren, trotz unserer Kritik daran und trotz seiner offensichtlichen fatalen Konsequenzen – beispielsweise im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit und unsere Umwelt –, nach wie vor so verführerisch und erfolgreich ist.

Zu der eigens für EUPHORIA geschaffenen Chormusik von Samy Moussa und einer weiteren Komposition von Cassie Kinoshi spielen die renommierten Jazzschlagzeuger:innen Terri Lyne Carrington, Peter Erskine, Yissy Garcia, Eric Harland und Antonio Sanchez im Takt der kapitalistischen Maschinerie und begleiten das Rattern eines Fließbands, symbolisieren die Auf- und Abwärtsbewegungen von Börsenkursen und vertonen das chaotische Getöse New York Citys. Die lebensgroß projizierten Sänger:innen des Brooklyn Youth Chorus agieren dazu im arenaartigen Setting dieser Filminstallation als eine Neuversion des antiken griechischen Chores – als Stimme und Gewissen der Gesellschaft.

EUPHORIA ist ein Auftragswerk und eine Produktion der Park Avenue Armory.
Gemeinsam in Auftrag gegeben von der Ruhrtriennale, dem Holland Festival und RISING Melbourne, in Kooperation mit dem Sydney Festival und dem Weltkulturerbe Völklinger Hütte.

Musik: Samy Moussa, ergänzende Komposition: Cassie Kinoshi
Performt von den Sänger:innen des Brooklyn Youth Chorus sowie von Terri Lyne Carrington, Peter Erskine, Yissy Garcia, Eric Harland und Antonio Sanchez

Mit: Giancarlo Esposito, Virginia Newcomb, Ayesha Jordan, Kate Strong, Jeff Wood, Erik Hansen, Tim Williams, Jeff Burrell, Robert Bronzi, Rocio Rodriguez-Inniss, Dora Zygouri, Esther Odumade, Tia Murrell, Asa Ali, Luis Rosefeldt, Richard Siegal, Nena Sorzano, Corey Scott-Gilbert, Jared Brown und der Stimme von Cate Blanchett


Öffnungszeiten: 
Bis 31. März: Täglich 10:00 - 18:00 Uhr 
Ab 1. April: Täglich 10:00 - 19:00 Uhr

Weitere Informationen direkt unter: voelklinger-huette.org

Julian Rosefeldt: EUPHORIA, 2022 © Studio Julian Rosefeldt, Berlin
11.12.2022 - 03.09.2023

Julian Rosefeldt: When we are gone

Weltkulturerbe Völklinger Hütte

Rathausstraße 75 – 79
66333 Völklingen