2027 jährt sich die Gründung des Württembergischen Kunstvereins (WKV) zum 200. Mal. Auf dem Weg dorthin geht der WKV in einem zweijährigen offenen Prozess drei zentralen Ideen, die mit der Gründung von Kunstvereinen zu Beginn des 19. Jahrhunderts eng verwoben sind, aus heutiger Sicht nach: der Konstitution des (weißen, männlichen) Bürgers als Souverän; der Freiheit der Kunst und der Nationenbildung. Die lokalen Besonderheiten und konkreten Entwicklungen des WKV werden dabei hinsichtlich ihrer globalen Verschränkungen reflektiert. Lineare Zeitkonzepte sollen bewusst durchbrochen werden. Geplant ist eine Ausstellungsreihe, die in vier Konstellationen mögliche Anschlüsse zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft reflektiert. Bei allen vier Konstellationen handelt es sich um offene Arrangements zwischen Ausstellung, Archiv und Werkstatt. Sie sind im Wesentlichen vom Suchen, Sichten, Hinterfragen, von Lücken, Unerwartetem, Vorläufigem und neuen Fragen geprägt.
Konstellation 2 ist als Erweiterung und Neuanordnung der vorangegangenen Ausstellung konzipiert. Sie setzt sich aus drei Strängen zusammen: einer offenen Folge beweglicher BildText-Tableaus, in denen historische Kontexte und Figuren des WKV aufgegriffen und quergelesen werden; einer Auswahl von Editionen, Ausstellungsplakaten und -dokumenten zu wiederkehrenden gesellschaftspolitischen Anliegen des WKV seit 1946 sowie zahlreichen Werken zeitgenössischer Künstler*innen, die um verschiedene Aspekte der Konstitution des Bürgers als Souverän – und um deren Folgen – kreisen. Darüber hinaus umfasst die Ausstellung eine kleine, wachsende Präsenzbibliothek mit den Katalogen des WKV, Büchern zur Stadtgeschichte sowie zu den verschiedenen Themen des Projektes.
Werke zeitgenössischer Künstler*innen
Zu den Werken zeitgenössischer Künstler*innen zählen die Videoinstallationen von Vika Kirchenbauer und José Alejandro Restrepo, die sich mit den kolonialen Verflechtungen des europäischen Bildungs- und Besitzbürgertums beschäftigen. Kirchenbauer nimmt in ihrer essayistisch-performativen Videoarbeit Compassion and Inconvenience (2024) die klassistischen, kapitalistischen und kolonialen Ursprünge öffentlicher europäischer Kunstausstellungen am Beispiel Großbritanniens in den Blick. Restrepo geht in Quindío Pass II (1998) ausgehend von Figuren wie Alexander von Humboldt, Christian Duttenhofer und anderen den kolonialen Strukturen und Repräsentationen der europäischen Kunst- und Wissenschaftsgeschichte nach. Im Mittelpunkt steht dabei die Figur des indigenen Trägers, der den Kolonialherren durch die „Wildnis“ trägt – als Allegorie der Machtlosigkeit und deren Umkehrung. Restrepos Werk weist direkte lokale Bezugspunkte zu Stuttgart auf, denn Duttenhofer und Johann Friedrich Cotta, der Schlüsselwerke von Humboldt veröffentlichte, zählten zur Kulturelite der Stadt und waren Gründungsmitglieder des WKV.
Einen konkreten Bezug zur Kolonialgeschichte Stuttgarts nimmt die Installation von Lídia Chaves. Die für den WKV angefertigte Wandarbeit basiert auf der öffentlichen Intervention der Künstlerin von 2023 im Stadtgarten, mit der sie kritisch an die Kolonialausstellung von 1928 in der ehemaligen Gewerbehalle erinnerte.
Diagramme und Statistiken sind zentrale Instrumente der westlichen Erkenntnis- und Wissenschaftsgeschichte, die Wirklichkeit nicht abbilden, sondern vielmehr konstruieren. W.E.B. Du Bois' 63 Tafeln, die er für die Pariser Weltausstellung von 1900 anfertigte, machen nicht nur die Lebensrealitäten von Afroamerikaner*innen jenseits rassistischer Zuschreibungen sichtbar, sondern unterminieren auch die linearen Darstellungsweisen europäischer Statistik und Verwaltungsgrafik.
Hank Willis Thomas‘ Diagramm Colonialism and Abstract Art führt – in kritischer Aneignung von Alfred H. Barrs Cubism and Abstract Art (1936, Museum of Modern Art, New York) – die komplexen geopolitischen und ökonomischen Verflechtungen zwischen moderner Kunst, Kapitalismus und Kolonialismus vor Augen.
Auch das im Rahmen der Ausstellung 50 Jahre nach 50 Jahre Bauhaus (2018, WKV) von Yvonne P. Doderer entwickelte Diagramm über die in den urbanen Strukturen Stuttgarts sichtbaren Kontinuitäten des NS-Regimes überfordert die Funktionalität klassischer Wissenschaftsgrafik durch Komplexität. Anstelle einer Reduktion auf Schlagworte und Kennzahlen enthält es zahlreiche erläuternde Texte.
Daniel García Andújar macht in seiner KI-generierten Arbeit Cancel Culture (2025) wiederum Restriktionen und Stereotypen sichtbar, die in auf statistischen Auswertungen basierenden Technologien fortwirken. Ausgangspunkt sind dabei architektonische Daten zur Stadt Stuttgart.
Neben Doderer und Andújar nehmen auch die Fotografien des Künstlers Walter Renz (1908– 1998) direkten Bezug auf Stuttgart. Seine nüchternen und zugleich einfühlsamen Fotografien, die erstmals seit den 1980er Jahren in größerem Umfang zu sehen sind, geben Einblicke in urbane Situationen der Vor- und Nachkriegszeit in Stuttgart. Häufiges Motiv sind dabei das Cannstatter Volksfest sowie die Trümmerlandschaften nach dem Zweiten Weltkrieg. In den 1950er Jahren war Renz Mitglied im Künstlerischen Beirat des WKV.
1982 präsentierte Anna Oppermann im Kuppelsaal des WKV ihr raumgreifendes Ensemble zur Verehrung Goethes durch das Bildungsbürgertum. Die Ausstellung zeigt vier Fotoleinwände aus diesem Ensemble, in denen insbesondere das Verhältnis des Dichters zu Frauen thematisiert wird. Bereits zu Goethes Lebzeiten kommentierte die Stuttgarter Künstlerin Luise Duttenhofer den Kult um seine Person mit einem ironischen Scherenschnitt. In weiteren ausgestellten Werken setzt sie sich kritisch mit den Gepflogenheiten der damaligen kulturellen Eliten und deren Ausschluss von Frauen auseinander.
Weitere Elemente
Duttenhofer zählt, neben diversen Gründungsmitgliedern des WKV, zu den zentralen Protagonist*innen der Bild-Text-Tafeln. In ihren Scherenschnitten kommentiert sie nicht nur die Eitelkeiten der Gründer und anderer kulturell aktiver Herren auf ironische Weise, sondern kritisiert auch die Einschränkungen von Frauen. Die Ausstellung zeigt eine Reihe originaler Werke dieser außergewöhnlichen Künstlerin, die sich den Scherenschnitt als kritische feministische Kunstform erschloss.
Eine Plakatwand ist Alice Widensohler gewidmet, der ersten Frau, die an der Spitze des WKV stand, diesen nach dem 2. Weltkrieg neu positionierte und offenbar auch andere lokale Sammlungen prägte.
Öffnungszeiten:
Dienstag: 11:00 - 18:00 Uhr
Mittwoch: 11:00 - 20:00 Uhr
Donnerstag - Sonntag: 11:00 - 18:00 Uhr
Montag: geschlossen
Weitere Informationen direkt unter: wkv-stuttgart.de