Der Kunstverein Bielefeld zeigt jeweils die ersten institutionellen Einzelausstellungen von Tolia Astakhishvili sowie des Künstler:in-Duos Angélique Aubrit & Ludovic Beillard in Deutschland.
 
Die Ausstellungen von Tolia Astakhishvili und Angélique Aubrit & Ludovic Beillard rücken die Medien Skulptur und Installation in den Mittelpunkt, wobei Astakhishvili zusätzlich Zeichnung und Malerei einbezieht, während sich die Praxis des Künstler:in-Duos auf Video und Performance erstreckt. Ihre Arbeiten zeugen von einem starken Interesse an der Architektur als Ort des Wohnens, mit Erinnerungen verbunden und von Geschichten geprägt. Wohnorte sind mithin konstituierend für die Persönlichkeit und Psychologie eines jeden Einzelnen. In diesem Sinne versteht auch der Philosoph Gaston Bachelard das Haus in Der Poetik des Raumes, 1957. In der Publikation liefert er eine phänomenologische Analyse der Macht der Fantasie und des Träumens in Beziehung zum Raum und der Art und Weise, wie wir die Welt bewohnen. Die Auswahl der Künstler:innen wurde von dieser Idee und jener, was die Räume des Kunstverein Bielefeld darstellen und beinhalten können, geleitet. Im 17. Jahrhundert diente das Gebäude nicht nur als Wohnhaus, sondern bot er auch das Asylrecht für Räuber und Vogelfreie an. In den Mauern des heutigen Kunstvereins waren diese vor einer rechtlichen Verfolgung geschützt. Mit ihrer künstlerischen Reaktion auf die historischen Räume, schaffen die Künstler:innen einen kontrastreichen Dialog zum Thema des Wohnraumes und ganz allgemein der persönlichen Verortung im Kontext einer häuslichen Bleibe. 


Tolia Astakhishvili: I think it's closed

In ihrer künstlerischen Sprache bezieht sich Tolia Astakhishvili auf Vergangenes und durch den Raum transportierte Erinnerungen; seien sie intim oder politisch. Die Künstlerin transformiert mithilfe von Rigipsplatten die vorhandene Architektur und erschafft hierdurch neue Räume. Im Rohbau belassen, definieren die eingezogenen Wände den Grundriss des Ausstellungsraums neu. Räume werden halbiert, versteckte Fenster enthüllt und neue Blickwinkel geschaffen. Die Art und Weise, in der die blassen Wände Astakhishvilis den ursprünglichen Ausstellungsraum und seine vorgegebene Logik verändern, wirkt sich auf die Raumwahrnehmung aus; als ob die Künstlerin die Ordnung und die Autorität der Institution durchbrechen wöllte. Gleichzeitig gestaltet sie mit den neuen Bauelementen einen Rahmen in den sie Gemälde, Fundstücke, Zeichnungen, Fotographien und/oder Texte integriert. Ihre Zeichnungen und Gemälde stellen des Öfteren Geister oder surreale Wesen dar. In dieser Umgebung offenbaren sie Spuren menschlicher Präsenz, die sowohl real als auch fiktional, sanft, unheimlich oder gewalttätig sind. Es entsteht ein Ort, der verschiedene psychologische Zustände generiert und letztlich die Poetik des Raums sichtbar macht. Astakhishvilis Installationen gleichen einer nicht-linearen Erzählung, welche die Betrachter:innen einlädt, verschiedene Bewusstseinsebenen eines körperlichen Raums zu ergründen. 

Tolia Astakhishvili (1974 in Tiflis, lebt in Berlin und Tiflis) hat ihre Arbeiten in zahlreichen institutionellen Ausstellungen und Galerien präsentiert; darunter bei Felix Gaudlitz, Wien, LC Queisser, Tiflis (2022), Art Hub Copenhagen, Kopenhagen, Bonner Kunstverein, Bonn, Capitain Petzel, Berlin (alle 2021), Man National Museum, Sofia, Malmö Konsthall, Malmö (beide 2019) und im Delmes & Zander, Köln, Cabinet, London (beide 2018).


Angélique Aubrit & Ludovic Beillard: Ich glaube, wir sollten woanders hingehen

Angélique Aubrit und Ludovic Beillard bauen von Figuren bewohnte Environments, in denen sich burleske Erzählungen und absurdes Theater vereinen. Ihre tragbaren Kostüme und Skulpturen sind eine Kombination aus selbstgenähten Kleidern und Holzhelmen, die Gesichter von Menschen und anderer Kreaturen nachahmen. Die Figuren stellen häufig von der Gesellschaft ausgegrenzte Minderheiten dar. Mal erscheinen sie als Protagonisten in Aubrits und Beillards Videoinstallationen, mal erwachen sie im Ausstellungskontext zu neuem Leben. In ihren raumgreifenden Inszenierungen, zusammengestellt aus einem Sortiment von recyceltem Interieur und/oder Papierwänden, herrscht ein psychologisch aufgeladener Zustand. Auf satirische Art spiegeln sie unsere heutige Gegenwart mit ihren brutalen und nebligen Aspekten wider. Für das Duo geht es jedoch weniger darum, eine pessimistische Weltsicht darzustellen, als vielmehr darum, einen Zivilisationszustand festzustellen und dessen Herrschaftsverhältnisse hervorzuheben, um neue Formen des kollektiven Abreagierens zu (be-)schreiben. Für ihre Ausstellung in Bielefeld öffnet das Künstler:in-Duo ein neues Kapitel ihres Schaffens mit drei Wesen von „Woanders“, die es sich in der oberen Etage des Kunstvereins bequem gemacht haben.

Angélique Aubrit (1988 in Angoulême, lebt in Brüssel) und Ludovic Beillard (1982 in Bordeaux, lebt in Bordeaux) stellen seit 2017 als Künstler:innen-Duo gemeinsam aus. Sie präsentierten ihre Arbeiten in Einzelausstellungen in der Galerie Valeria Cetraro, Paris (2022), La Tôlerie, Clermond Ferrand, Lindre-Basse Residenz - La Syngogue, Delme, Etablissement d’en face, Brüssel (alle 2021) und im Komplot, Brüssel (2019). Das Duo war in Gruppenausstellungen u.a. im Le 19 Crac, Montbéliard (2022), und in der CAPC, Bordeaux (2021) vertreten.

11.02. - 16.04.2023

"I think it's closed" & "Ich glaube, wir sollten woanders hingehen"

Kunstverein Bielefeld

Welle 61
33602 Bielefeld