Im Jahr 2025 feiert das Neue Frankfurt seinen 100. Geburtstag. Dies nimmt das Museum Angewandte Kunst als Anlass, jener Gestaltungsmoderne am Main aus den 1920er-Jahren zahlreiche Ausstellungen zu widmen. Die Kernausstellung Was war das Neue Frankfurt? ist als Initialraum angelegt, in welchem noch einmal gefragt wird, was das Neue Frankfurt eigentlich war: wer waren die Protagonist:innen; welche Ideen lagen dieser Gestaltungsmoderne zu Grunde und wie haben diese auf das Alltagsleben der Menschen eingewirkt?

Die Ausstellung besteht aus einem medialen Raum, in dem die Kernfragen zum Bauprogramm gestellt und beantwortet sowie deren Initiativen, Personen und Aktionsfelder vorgestellt werden. Der Raum versammelt dabei signifikante Objekte aus der Zeit des Neuen Frankfurt, Texte und eingesprochene Originalzitate, Bilder, Filme, Infografiken und Fotografien, die in konzentrierter Form davon erzählen, was das Neue Frankfurt war und weiter sein kann.

Historische Ausgangslage
Nach dem Ersten Weltkrieg herrschte in Deutschland große Not: Fast zwei Millionen junger Männer waren im Krieg gefallen, mehr als vier Millionen verwundet oder traumatisiert zurückgekehrt. Viele Familien lebten am Existenzminimum und litten Hunger. Eine nur schleppend wieder in Gang kommende Bautätigkeit und die Zuwanderung aus den verlorenen Gebieten führten zu einer verheerenden Wohnungsnot in den Städten. Anfang der 1920er Jahre kam es zwar zu einer zaghaften wirtschaftlichen Erholung, aber der Preis dafür war hoch: Die galoppierende Inflation vernichtete das Sparvermögen vieler Privathaushalte und führte zur Verarmung weiterer Bevölkerungsgruppen. Die deutschen Städte standen vor enormen Herausforderungen.

Das Neue Frankfurt
1925 startete die Stadt Frankfurt am Main ein soziales Wohnungsbau- und Stadtplanungsprogramm mit dem Ziel, die breite Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum zu versorgen. Dabei wurde ein hoher sozialer Anspruch mittels beispielgebender Architektur - und Gestaltungslösungen in die Tat umgesetzt. Innerhalb von nur 5 Jahren entstanden mehrere Siedlungen mit 12.000 Wohnungen, Mobiliar, öffentlichen Gebäuden und Grünflächen. Das Programm ging später unter dem Begriff Das Neue Frankfurt in die Architektur- und Designgeschichte ein.

Zahlreiche Projekte im Wohnungs- und Industriebau sind erfolgreich umgesetzt worden: die Wohnsiedlungen Römerstadt (1927-28), Praunheim (1926-30), Bornheimer Hang (1926-30) oder Westhausen (1929-32) sind nur einige Beispiele des Siedlungsbaus. Auch zahlreiche städtische Schulgebäude und ein Altenheim der Henry und Emma-Budge-Stiftung sowie Industrieanlagen wie das Elektrizitätswerk oder die Großmarkthalle gehören zu den Bauten, die den Ruf Frankfurts als Großstadt der Moderne etablieren sollte. Darüber hinaus wurde die Gestaltung öffentlicher Grün- und Sportanlagen in den Fokus genommen und realisiert.

Zwischen 1925 und 1933 entstanden 12.000 kleine und mittelgroße kommunale Wohnungen und Häuser, die mit hohem Komfort ausgestattet waren: einem Balkon oder einer Dachterrasse, Elektro- und Radioanschlüssen, Zentralheizung, Badezimmer und Toilette sowie einer modernen Einbauküche, die als Frankfurter Küche bekannt wurde. Charakteristisch für fast alle Bauten war ihre sehr schlichte und sachliche Gestaltung. Auf üppigen Bauschmuck wurde verzichtetet. Die meisten Gebäude hatten ein Flachdach. Außerdem waren die Siedlungen durch Kleingärten und Grünanlagen aufgelockert. Die Grundrisse teilten die Wohnfläche in einzelne Funktionsräume auf: Schlafen, Kochen, Kinder und Wohnen – ein Raumkonzept, das teilweise bis heute gebaut wird, obwohl der Raumbedarf und die Wohnbedürfnisse nicht erst heute vielfältiger sind.

Finanziell möglich wurde das Wohnungsbauprojekt durch die deutschlandweite Einführung der Hauszinssteuer. Ziel dieser Steuer war es, die nach dem 1. Weltkrieg entstandene soziale Ungleichheit zwischen Hausbesitzenden und Menschen, die durch die Inflation zwischen 1921 und 1923 ihr gespartes Geld verloren hatten, auszugleichen. Die Mittel aus der Hauszinssteuer flossen vor allem in den kommunalen, gemeinnützigen Wohnungsbau. Doch trotz der Anstrengungen der Architekt:innen, die Baukosten durch neue, standardisierte Baumethoden und kleine Grundrisse möglichst niedrig zu halten, konnte sich überwiegend nur die Mittelschicht die neuen Wohnungen leisten.

Die ideelle Vorhut der Veränderungen der 1920er Jahre bildeten die Konzepte der Gartenstadt (Ebenezer Howard, Raymond Unwin), die ihren Weg von England auf das Festland fanden. Einfluss auf das Neue Frankfurt hatten aber auch die politischen Ideen und Ziele der Sozialdemokrat:innen sowie die erste Frauenbewegung und ihre Forderungen nach Emanzipation und dem Wahlrecht.

Initiatoren und Beteiligte
Initiiert und geleitet wurde das Neue Frankfurt von Oberbürgermeister Ludwig Landmann (1868–1945) und seinem Stadtbaurat Ernst May (1886–1970). Daneben spielten Kämmerer Bruno Asch (1890–1940) und Martin Elsaesser (1884–1957), Baudirektor am Hochbauamt, zentrale Rollen.

Etwa 160 weitere Architekt:innen, Künstler:innen, Wissenschaftler:innen und Stadtbeamt:innen prägten das Bau- und Modernisierungsprojekt Neues Frankfurt. Dazu zählen: Margarete Schütte-Lihotzky (1897–2000), Ferdinand Kramer (1898–1985), Lucy Hillebrand (1906–1997) und Adolf Meyer (1881–1929) für den Bereich Architektur; Max Bromme (1878–1974) als Gartenbaudirektor und Leberecht Migge (1881–1935) als Landschaftsarchitekt; Fritz Wichert (1878–1951) als Direktor der Kunstschule und Mitherausgeber der Zeitschrift Das Neue Frankfurt; Willi Baumeister (1889–1955), Hans Leistikow (1992-1962) und Max Beckmann (1884–1950) für die Bereiche Grafikdesign und Bildende Kunst; Ilse Bing (1899–1998), Ella Bergmann-Michel (1895–1971), Gisèle Freund (1908–2000), Paul Wolff (1887–1951), Hermann Collischonn (1865–1945), Grete Leistikow (1893–1989) und Jeanne Mandello (1907–2001) für die Bereiche Film und Fotografie.

Das Neue Frankfurt Heute
Noch heute sind die meisten Wohnhäuser und Siedlungen sowie zahlreiche öffentliche Gebäude des Neuen Frankfurt in Funktion und sichtbar, werden gebraucht, bewohnt und genutzt. Andererseits ist das öffentliche Wissen über die Leistungen dieses Bauprogramms außerhalb der Fachgremien der Architektur- und Designgeschichte immer noch nur wenig bekannt. Dies soll mithilfe der Ausstellung geändert werden: Ziel ist es, einerseits ein breiteres Bewusstsein über die historischen Planungen zu etablieren und andererseits Fragen des Großstadtlebens und des Wohnens mit dem Blick der Gegenwart in die Zukunft zu tragen.

Anlässlich des diesjährigen Jubiläums des Neuen Frankfurt möchte das Museum Angewandte Kunst mit der Ausstellung Was war das Neue Frankfurt? Kernfragen zum Stadtplanungsprogramm der 1920er Jahre eine Brücke in jene Zeit vor 100 Jahren schlagen.

Die Präsentation stellt grundlegende Fragen zum Bauprogramm, den dahinterstehenden Personen und den Aktionsfeldern des Programms. Die kurzen Antworten auf diese Fragen verstehen sich als Anregungen für ein neues Nachdenken darüber, welche Lösungen von damals heute noch sinnvoll sein können – und welche nicht. Anknüpfend daran wird das Museum in weiteren Ausstellungen und Veranstaltungen das vielfältige Verhältnis von Architektur und Stadt, Gestaltung und Demokratie auch im Rahmen der World Design Capital Frankfurt RheinMain 2026 zur Anschauung und Diskussion stellen.