Mit Arbeiten von Francis Alÿs, Lara Favaretto, Peter Fischli und David Weiss, Ryan Gander, Rivane Neuenschwander, Temitayo Ogunbiyi, Roman Ondak, Eva Rothschild und David Shrigley

„Ich hatte immer schon das Gefühl, dass zeitgenössische Kunst viel besser
zu Kindern passt als zu Erwachsenen. Erwachsene sind so voreingenommen und voller Ängste, was Kunst angeht. Kinder reagieren auf sie wesentlich direkter und instinktiver. Die besten Künstler:innen sollten ihre Arbeiten in Schulen zeigen.“ (Jeremy Deller)

Jeremy Deller – oft als „Anstifter sozialer Intervention" bezeichnet – wurde vom Kunstverein Hannover zum 25-jährigen Jubiläum der Expo 2000 eingeladen, seine bisher wenig bekannte Performance-Arbeit für die damalige Weltausstellung wieder aufzugreifen. Unter dem Titel Has The World Changed or Have I Changed? hatte er damals einen Clown über das Gelände der Weltausstellung schlendern lassen. Nun kehrt Turner-Preis-Gewinner Deller statt mit nur einem Clown mit einer ganzen Ausstellung zurück, die Erwachsene und Kinder gleichermaßen anspricht.

Die exklusiv für den Kunstverein Hannover von Deller kuratierte Gruppenausstellung An Exhibition for Children (and Other People) / Eine Ausstellung für Kinder (und andere Leute), versammelt herausragende Arbeiten von international renommierten Konzept- Künstler:innen, die spielerische, interaktive und poetische Momente schaffen. Sie ist als Einladung zu verstehen, sich die Welt mit der vertrauensvollen Neugier eines Kindes vorzustellen, sich der Kunst unvoreingenommen zu nähern.

Einige der hier gezeigten Arbeiten sind Klassiker der konzeptuellen Kunst, die Fantasie und Erfindungsreichtum spielerisch verbinden – und dabei ganz nebenbei die hochgestochenen Regeln der Kunstwelt aushebeln oder humorvoll entthronen.

In allen Beiträgen ist das Spielerische zentral: Francis Alÿs dokumentiert weltweit Kinderspiele und stellt die Kraft der Fantasie in den Vordergrund. Lara Favaretto beraubt oft Dinge ihrer eigentlichen Funktion und tauscht damit Vernunft gegen Verbindung. Peter Fischli und David Weiss hinterfragen mit subtilem Humor den Alltag – ihr ikonischer Film Der Lauf der Dinge zeigt eine akribisch inszenierte Kettenreaktion. Ryan Gander verknüpft Kinderspiel mit erwachsenen Denkmustern und überrascht immer wieder mit ungewohnten Perspektiven, hier mit einer neuen Arbeit aus über 2000 mehrdeutigen Fragen. Rivane Neuenschwander bedient sich der Sprache als bewegliches Material und lädt zur aktiven Teilnahme und zum Rollentausch ein. Temitayo Ogunbiyi gestaltet Skulpturen zu Spielplätzen, die erklettert werden wollen. Roman Ondak hat mit seiner partizipativen Performance- Arbeit Measuring the Universe, auf der alle ihre Spuren hinterlassen können, Kultstatus erlangt. Eva Rothschilds fragile Skulpturen treffen auf den Forschungsdrang von Kindern und Jugendlichen, und David Shrigley bietet den Besucher:innen einen (fast) klassischen (Akt-)Zeichenkurs an.


ÜBER DIE KÜNSTLERINNEN UND KÜNSTLER

Jeremy Deller (geb. 1966, Großbritannien) gilt als ein „Anstifter sozialer Intervention“ und ist bekannt für seine unkonventionelle künstlerische Praxis. Er setzt sich häufig mit Geschichtsschreibung, der Reflexion des Kunstbetriebs, der Arbeiterbewegung und Popkultur auseinander und integriert oft kollektive Erfahrungen in seine Werke. Sein bekanntestes Werk ist das 2001 entstandene Re-Enactment The Battle of Orgreave, eine Rekonstruktion eines Streiks von Bergarbeitern in den 1980er Jahren, oder auch die Konzeption von Stonehenge als Hüpfburg mit dem Titel Sacrilege (2012). Deller hat bei einer Vielzahl bedeutender Ausstellungen weltweit ausgestellt, er vertrat den britischen Pavillon bei der Biennale di Venezia (2009) und ist in vielen internationalen Sammlungen vertreten. 2004 erhielt er den Turner Prize.

Francis Alÿs (geb. 1959, Belgien) lebt und arbeitet in Mexiko-Stadt. Er arbeitet mit Video, Zeichnung, Malerei, Fotografie, Performance und Klang buchstäblich über alle Grenzen hinweg. Dabei vermeidet er es, raumgreifende Skulpturen oder Installationen zu hinterlassen. Von vielen seiner Arbeiten, die Kunstgeschichte geschrieben haben, ist seine vielleicht bekannteste die auf Video dokumentierte Performance Paradox of Praxis 1 (Sometimes Making Something Leads To Nothing) von 1999, in der er einen Eisblock so lange durch Mexiko-Stadt schiebt, bis dieser geschmolzen ist. Er nahm mehrfach an der Biennale di Venezia teil, 2022 vertrat er Belgien mit einer ersten großen Präsentation seiner weiter wachsenden Dokumentation von aktiven Kinderspielen aus aller Welt.

Lara Favaretto (geb. 1973, Italien) setzt Video, Skulptur, Installation und Performance in ihren Arbeiten ein, die das Publikum in scheinbar spielerische oder fröhliche Interaktionen verwickeln, aber auch die Erkenntnis einer unvermeidlichen Entropie in sich tragen – in der Schwebe zwischen, wie sie es nennt, „Zerstörung und Wiederaufbau, Zusammenbruch und Wiederherstellung“. Favarettos Werke sind weniger eine Feier eines unausweichlichen Endes als vielmehr die unaufhörlichen Zyklen der Existenz, in denen verschiedene soziale Prozesse aufgedeckt werden. Auf diese Weise untersucht sie die Funktionsweise von Museen, Bibliotheken, Mülldeponien und auch Spielplätzen.

Peter Fischli (geb. 1952, Schweiz) und David Weiss (1946-2012, Schweiz) arbeiteten seit 1979 als Duo zusammen und erlangten im Laufe von mehr als drei Jahrzehnten internationales Renommee mit Arbeiten, die alltägliche Gegenstände und Szenarien aus einer unerwarteten und oft humorvollen Perspektive betrachten. Der Kunstverein Hannover zeigt das wohl berühmteste Werk des Duos. Der Lauf der Dinge, ursprünglich für die documenta 8 mit einer 16-mm-Kamera gedreht, ist die faszinierende filmische Dokumentation einer ausufernden, akribisch inszenierten kinetischen Kettenreaktion, die sich im Laufe von fast 30 Minuten im Lagerhaus-Studio der Künstler entfaltet. Der Lauf der Dinge wurde zu einem Meilenstein der Videokunst des 20. Jahrhunderts.

Ryan Gander (geb. 1976, Großbritannien) lebt und arbeitet in London. Er verwendet eine Vielzahl von Medien, darunter Skulptur, Film, Installation, Fundstücke, Fotografien, Malerei und Performance und verblüfft immer wieder durch das Zusammenspiel der Referenzsysteme „Kinderspiel“ und „Erwachsenenwelt“. Sein konzeptueller Ansatz in der Kunst ist oft von Humor, scharfer Beobachtung und einem surrealistischen Blick geprägt. 2012 hat er als Teilnehmer der dOCUMENTA (13) in Kassel das Hauptgebäude der ikonischen Schau leergeräumt und darin lediglich eine leichte Brise wehen lassen. Zu seinen Auszeichnungen zählen der Prix de Rome für Bildhauerei (2003) und der Order of the British Empire (OBE, 2017).

Rivane Neuenschwander (geb. 1967, Brasilien) verwendet und kombiniert verschiedene Medien, von Standbildern über bewegte Bilder bis hin zu Installationen und partizipatorischen Projekten, in einer Praxis, die von üblichen oder vertrauten Materialien und Situationen ausgeht, um subtile, poetische Reaktionen hervorzurufen - ein Prozess, den sie „ätherischen Materialismus“ nennt. Zu ihren bekanntesten Arbeiten gehört O Trabalho dos Dias (Arbeit der Tage) aus dem Jahr 1998, die später für das Museum of Modern Art in New York im Jahr 2020 nachgebaut wurde. Für diese Arbeit überzog sie den Boden und die Wände eines Raumes mit Klebeband und verwandelte ihn in eine Staubfalle, in der jede:r Besucher:in unwissentlich eine Spur seiner Anwesenheit hinterlässt.

Temitayo Ogunbiyi (geb. 1984, USA) ist eine in Lagos, Nigeria, lebende Künstlerin. Außer mit Zeichnung und Malerei arbeitet sie mit Skulpturen und Installationen, um Verbindungen zwischen aktuellen Ereignissen und anthropologisch verwurzelten Phänomenen, die den Menschen als Teil der Natur positionieren, aufzuzeigen und herzustellen. Ihre fortlaufende Serie funktionaler Spielplätze - die erste schuf sie 2018 aus Baumaterialien und Haushaltsgegenständen - umfasst interaktive, nachhaltige Skulpturen, die die Ideen des nicht-vorschreibenden Spiels als Metapher für Freiheit und als Alternative zu überregulierter Bewegung und zwangsläufig festgelegter Existenz erkunden. Kürzlich wurden ihre erkletterbaren Skulpturen in der Bundeskunsthalle Bonn, im Haus der Kulturen der Welt (HKW) in Berlin und im DeSingel in Antwerpen präsentiert.

Roman Ondak (geb. 1966, Slowakei) lebt und arbeitet in Bratislava. Seine Arbeiten und Konzepte zu Performance und Installation sind in zahlreichen Sammlungen vertreten, darunter Tate Modern, London, und MoMA, New York. Ondak nahm mehrfach an der Biennale di Venezia teil, 2009 zeigte er ein Soloprojekt im Pavillon von Tschechien und der Slowakei. 2007 präsentierte er eine der bekanntesten Performance-Arbeiten, die je in große Sammlungen Eingang fanden: Measuring the Universe in der Pinakothek der Moderne, München – ein Kunstwerk, das ausschließlich nur über die Besucher:innen hergestellt wird. Neben den Bayerischen Gemäldesammlungen besitzt nur das MoMA eine weitere dieser Arbeiten (oder vielmehr: ein weiteres dieser Konzepte) – nach vielen Jahren wird die Arbeit erstmals wieder im Kunstverein Hannover präsentiert.

Eva Rothschild (geb. 1972, Irland) lebt und arbeitet in London. Sie gehört zu den wichtigsten Vertreterinnen einer Generation von Künstler:innen, die sich mit formalen Aspekten der Skulptur und Plastik auseinandersetzen. Ihre Werke rekurrieren auf die minimalistische Formensprache der 1960er und 1970er Jahre und kombinieren kontrastreiche Materialien wie Leder, Plexiglas, Holz und Metall, die oft fragil und gleichzeitig vehement wirken. 2009 präsentierte sie in der Tate Britain die viel besprochene, raumgreifende, ortsspezifische Installation Cold Corners. Ihre Ausstellung Hot Touch, 2011/2012, im Kunstverein Hannover war die erste Präsentation ihres Werkes in Deutschland.

David Shrigley (geb. 1968, Großbritannien) lebt und arbeitet in Glasgow und London. Shrigleys Werk umfasst Skulpturen, Gemälde, Animationen, Textarbeiten und Fotografien, die stets von Humor und Leichtigkeit, scharfem Witz und pointierter Beobachtung geprägt sind. Besonders bekannt ist er für seine Zeichnungen, die mit bewusst reduzierter Technik an Art Brut erinnern und gleichzeitig eine filigrane Eigenart entwickeln. Shrigley ist vielleicht der einzige ernst genommene Komiker der „Art World“, dessen Arbeit immer wieder daran erinnert, wie klug und doch einfach Kunst sein kann.