Alle zwei Jahre organisiert die Internationale Photoszene Köln Rechercheresidenzen für Künstler*innen, die sich in diesem Rahmen unterschiedlichen fotografischen Archiven und Sammlungen in Köln widmen. Das Programm „Artist Meets Archive“ beweist, dass Archive inspirierende, komplexe und produktive Orte für eine künstlerische Auseinandersetzung und Kunstproduktion sind. Die Ergebnisse werden ab dem 17. Mai 2025 in den teilnehmenden Institutionen ausgestellt. Neben dem Museum Ludwig sind das Dombauarchiv, das Kölnische Stadtmuseum, die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur sowie das Rautenstrauch-Joest-Museum an der vierten Ausgabe von „Artist Meets Archive“ beteiligt.
Im Museum Ludwig realisiert die Künstlerin Pauline Hafsia M’barek (geboren 1979, lebt und arbeitet in Brüssel und Köln) ein neues Projekt. Ausgangspunkt sind die wissenschaftlichen Studien und Fotografien des Fotohistorikers und Chemikers Erich Stenger. Dessen umfangreiche Sammlung hat das Museum 2005 von Agfa, über Jahrzehnte einer der größten Hersteller fotografischer Filme und Laborausrüstungen, angekauft. Im Zentrum von Pauline Hafsia M'bareks Interesse steht die chemisch-physikalische Beschaffenheit des fotografischen Bildes und sein Herstellungsprozess.
Ein Foto ist nicht nur Abbildung, sondern immer auch vibrierende Materialität. Fotografien bilden nicht nur die Außenwelt ab, sondern bestehen aus deren Rohstoffen, die extraktiv für den Handel auf dem Weltmarkt abgebaut werden, oft auf Kosten von Menschen und Umwelt.
Glas, Silber, Kupfer, Baumwolle, Gelatine und Salz bilden unter anderem die instabilen, komplexen Bildschichten analoger Fotografien. Ihre empfindlichen Oberflächen enthüllen im Laufe der Zeit in Form von Ausbleichungen, Flecken oder Aussilberungen immer auch die Spuren des Aufzeichnungsvorgangs und seiner materiellen Bedingungen.
Pauline Hafsia M’bareks Augenmerk liegt daher auf der Anfälligkeit von fotografischen Archiven und den Fragen ihrer Ausstellbarkeit, müssen sie doch von äußeren Einflüssen abgeschirmt werden, um sie dauerhaft zu konservieren. Das Archiv wird zum produktiven (Wissens-)Labor, das beständig neue Spuren und ungeahnte Konfigurationen generiert, aber auch eine alchimistische Dimension umfasst. Denn das fotografische Material bleibt auf molekularer Ebene immer reaktiv und interagiert unaufhörlich mit der Außenwelt durch Licht, Temperatur, Feuchtigkeit, Schadstoffe und Mikroorganismen.
Im Museum Ludwig schafft die Künstlerin eine raumgreifende Installation, die Fotografien aus der Papier-Produktion von Agfa, toxische Dokumente, optisch-chemische Fotolehrbücher und mikroskopische Materialanalysen mit Experimenten an sensiblen Oberflächen zu einer spekulativen, multimedialen Assemblage verwebt. Aus temporären Versuchsanordnungen, blendenden Lichterscheinungen, ephemeren Mikrophänomenen und chemischen Affinitäten lässt sie einen Raum entstehen, in dem sich Aspekte von Konservierung und Zerfall, Ordnung und Entropie sowie der Beziehung zwischen Auge und Hand durchdringen. Die Installation nähert sich einer Bildlichkeit an, die immer wieder entgleitet und prekär bleibt.
Pauline Hafsia M'barek hat bildende Kunst in Hamburg, Marseille und Köln studiert. In ihrer künstlerischen Praxis sind der Körper und seine Wahrnehmungssysteme sowohl Instrument als auch Forschungsobjekt. Indem sie sich so nah wie möglich an ihr Sujet heranbewegt, setzt sie sich prekären und instabilen Momenten zwischen Beobachtung und Erfahrung aus. Die Videos und Fotografien, Installationen und performativen Vorträge, die aus diesem offenen, experimentellen Ansatz hervorgehen, sind nicht als abgeschlossene Werke zu verstehen, sondern als Übergangsstadien einer künstlerischen Forschung in Bewegung.