„Je mehr wir wissen, desto weniger scheinen wir weiter-zu-wissen“
Bernhard von Mutius

Nach Jahren der Zukunftsverheißungen ist Ernüchterung eingetreten, nicht zuletzt durch eine pandemische Entwicklung, die fast niemand vorhersah. Trotz neuer Kommunikationsstrukturen und Informationstechnologien sind wir augenscheinlicher nicht intelligenter geworden. Im Gegenteil, wir scheinen auf verschiedene Katastrophen zu zu rasen und es ist uns nicht gelungen, die Welt solidarischer und friedfertiger zu machen. Die Kunst kann unserer Meinung nach helfen, gesellschaftliche Prozesse in neue Bahnen zu lenken. Sie ist in der Lage, unabhängig von vorhandenen ökonomischen Grundstrukturen innovative Ideen zu entwickeln und Verbindungen herzustellen.

Die bildende Kunst liefert – und das ist eine ihrer wichtigen Aufgaben – nicht selten die Vorstellung von einer nahen und fernen Zukunft. Sie vermittelt Visionen, die sich im Unterschied zur Science Fiction nicht auf technische Entwicklungen konzentrieren, sondern vielfältiger und umfassender konstituiert sind. Meist wird es dabei den Rezipient*innen überlassen, ob diese Darstellungen der Zukunft als Utopien oder Dystopien zu betrachten sind.

Der deutsche Philosoph Ernst Bloch schreibt in seinem Aufsatz „Geist der Utopie“ (1973) der Kunst die Fähigkeit eines produktiven Ahnens zu und unterscheidet sie damit von anderen Formen des Voraussehens: „Und auch die Phantasievor-stellungen sind hier nicht solche, die sich aus Vorhandenem lediglich zusammensetzen, […] sondern die Vorhandenes in die zukünftigen Möglichkeiten seines Andersseins, Besserseins antizipierend fortsetzen. Wonach sich die so bestimmte Phantasie der utopischen Funktion von bloßer Phantasterei eben dadurch unterscheidet, dass nur erstere ein Noch-Nicht-Sein erwartbarer Art für sich hat, das heißt, nicht in einem Leer-Möglichen herumspielt und abirrt, sondern ein Real-Mögliches psychisch vorausnimmt.“ Die Werke der Ausstellung „voraussehen“ schwelgen nicht in Spekulationen und irren nicht in Phantastereien ab, vor denen Ernst Bloch warnt, sondern weisen mit den Mitteln der bildenden Kunst auf mögliche Zukünfte hin, erforschen, wie sich gegenwärtige Phänomene weiterentwickeln und damit neue urbane Landschaften und soziale Situationen entstehen könnten. Sie bieten Ausblicke in eine veränderte Welt, in der sich Menschen in vielleicht nur wenigen Jahren zurechtfinden müssen. Diese Werke sind dabei nicht an Ideologien gebunden, sie sind in ihrem Kern offen: Auch in der Überlegung, ob die Zukunft eine Verbesserung oder Verschönerung oder aber eine negative Entwicklung mit sich bringen wird.

In diesem Spannungsfeld verortet sich „voraussehen“: Die internationale Gruppenausstellung versammelt Positionen, welche mit künstlerischen Mitteln Voraussagen in verschiedenen Bereichen wie Urbanistik, Klima oder Mobilität treffen. Die vier Künstler*innen liefern dabei keine auf Messungen basierende Prognosen, sondern erzeugen immersive Atmosphären der Zukunft. Es geht ihnen in erster Linie um eine emotionale Vermittlungen futuristischer Situationen.

Die koreanische Künstlerin Yeojin Song präsentiert in ihrem Animationsfilm „The City“ die Metropole der Zukunft als Wucherung von monotonen Hochhausbauten, die sich immer mehr auszubreiten scheinen. Ani Schulze führt uns in eine Welt zwischen Science Fiction und Rückfall in archaische Zeiten. Auf eindrucksvolle Weise bringt sie strukturelle gesellschaftliche Flexibilität und dystopische Momente in den unterschiedlichsten Medien zusammen. Mit skulpturalen Gebilden und Projektionen lässt uns Yoni Hong futuristische Stadtlandschaften erleben. Nike Kühn bezieht sich mit ihrer Installation „Safe House“ auf die Praxis und Gedankenwelt der Prepper, die für eine kommende Katastrophe vorbereitet sein wollen.

Die Ausstellung wird freundlicherweise gefördert von der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, der Sparkasse Celle-Gifhorn-Wolfsburg, dem Niedersächsischen  Ministerium für Wissenschaft und Kultur und der Stadt Wolfsburg.