Das Haus am Lützowplatz zeigt aus Anlass des 80. Jahrestages der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus eine Einzelausstellung des Fotografen Göran Gnaudschun (*1971 in Potsdam).
Am 6. April 2009 um 3:32 Uhr erschütterte ein gewaltiges Erdbeben die italienische Stadt L’Aquila und deren Umland. Besonders tragisch war es in dem in der Peripherie gelegenen Dorf Onna. Von den 300 Einwohnern starben in jener Nacht 40 Menschen. Nur noch ein Trümmerfeld blieb übrig. Bereits während des Zweiten Weltkriegs wurde das Dorf durch ein unheilvolles Geschehen heimgesucht: Am 11. Juni 1944 verübten Soldaten der deutschen Wehrmacht während ihres Rückzugs ein Massaker und zerstörten nahezu ein Drittel aller Gebäude.
Das kleine Dorf Onna ist ein Ort des Schmerzes. Fast jeder hier hat Verluste in der Familie zu beklagen. Viele von ihnen waren verschüttet. Es ist nicht leicht, damit zu leben. Ein Erdbeben ist mehr als ein Vibrieren von Steinen, es ist eine Erschütterung des Glaubens an die Grundfestigkeit der Welt und offenbart deren Vorläufigkeit. Die Onnesen wohnen zehn Jahre nach dem Erdbeben immer noch in den Hütten neben dem Ruinenfeld, das zuvor ihr Dorf gewesen war. Der Wiederaufbau geht nur schleppend voran.
Göran Gnaudschun hat das Dorf und die Menschen portraitiert: Kinder, Heranwachsende und Ältere. Er schrieb dazu „Ich habe in den Gesichtern Trauer und Schmerz, aber auch Widerständigkeit und Stärke gefunden, den tiefen Willen, weiterzumachen, nach vorne zu schauen – für die Familie, die Mitmenschen und für die, die so unvermittelt aus dem Leben gerissen wurden. Ich bin mittels Archiv- und Privatfotos tief in die Vergangenheit des Ortes eingetaucht. So verbinden sich die übervollen Bilder aus der Vergangenheit mit den ruhigen, menschenleeren Aufnahmen der Gegenwart. Die Texte sind Verdichtungen aus Interviews, Protokollen und Büchern. Sie bilden eine eigene Ebene über den Bildern.“
Das Massaker in Onna war eines von vielen in Italien. Die deutsche Schuld wurde nur schleppend aufgearbeitet und kaum gesühnt. Erdbeben gibt es in dieser seismologisch sehr aktiven Region immer wieder. Anhand des kleinen Dorfes Onna lässt sich aber aufzeigen, wie sehr die großen Weltläufe in das Leben jedes einzelnen eingreifen, wieviel Leid entfesselte Kriege der Zivilbevölkerung zufügen, wie sich Traumata durch die Generationen ziehen und durch weitere Katastrophen neue Nahrung bekommen. „Stimmen, die sich suchen“ ist eine Arbeit über Erinnerung, über das Vergehen von Zeit, über Schmerz und Verlust, aber auch über die menschliche Fähigkeit, trotz allem das eigene Leben zu leben.
„Stimmen, die sich suchen“ wurde in einer ersten Version 2019 vom Goethe-Institut Rom in Zusammenarbeit mit der Casa Onna kuratiert und finanziert. 2021 wurde eine zweite Version auf der Architekturbiennale Venedig im italienischen Pavillon gezeigt.
Das Haus am Lützowplatz präsentiert nun die dritte erweiterte und finale Version der Ausstellung. Zum Abschluss des Projektes erscheint das vom büro uebele gestaltete Buch „Stimmen, die sich suchen“ im Verlag Edition Fotohof Salzburg.
Die Ausstellung im Haus am Lützowplatz wird realisiert in Kooperation mit dem Goethe-Institut Rom und der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo.
Lützowplatz 9
10785 Berlin